Meret Schneider: Kitas, Erwerbstätigkeit und der gute alte Thesenjournalismus

Meret Schneider, Nationalrätin, Grüne Schweiz. (Bild: parlament.ch)

“Kita-Streit um 700 Millionen Franken: sind billigere Tarife für Eltern nur Geldverschwendung? Jetzt zeigt eine wissenschaftliche Untersuchung: Günstigere Preise führen gar nicht automatisch dazu, dass Frauen ihr Erwerbspensum markant erhöhen.”

Mit grossem Erstaunen las ich diesen Einstieg in einen Artikel in der Luzerner und Aargauer Zeitung, der wortreich, unter Berufung auf eine wissenschaftliche Studie und nicht ohne Polemik illustrieren sollte, dass günstigere Kita-Tarife nicht zu mehr Erwerbstätigkeit der Frauen führen.

Mit grossem Erstaunen deshalb, weil wir genau dieses Geschäft in unserer Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur eingehend beraten haben und mir dazu ein ganzer Stapel wissenschaftlicher Studien vorlag, die einen klaren Zusammenhang zwischen bezahlbaren Kita-Tarifen und der Erwerbstätigkeit der Frauen belegen. In der kommenden Frühlingssession wird der Nationalrat darüber befinden, ob der Bund die Kita-Tarife für Eltern senken soll oder nicht – die Berichterstattung darüber ist also von politischer Relevanz und nicht ohne realistische Konsequenzen; umso wichtiger wäre es folglich, valide Informationen aufzubereiten, so habe ich es zumindest in meinem Studiengang der Publizistik gelernt. Qualitativer Journalismus zeichnet sich durch valide Quellen, die Vermittlung eines vollständigen Bildes der Situation und ja, auch durch Unterhaltungswert aus, doch darf letzterer nicht als Legitimation dienen, ersteres zu übergehen.

Die Tatsache, dass man sich im Artikel auf eine wissenschaftliche Studie berief, machte mich natürlich neugierig, um welche es sich denn handeln möge und siehe da: es handelt sich dabei um eine der ganz wenigen Studien, zudem mit Daten aus Österreich und nicht aus der Schweiz, die keinen Zusammenhang zwischen Kita-Tarifen und der Erwerbstätigkeitsquote feststellen konnte. Was im Artikel nicht erwähnt wurde, ist jedoch, dass sich bei einer Durchsicht aller vorliegenden aktuellen Studien folgendes Bild zeigt:

Soviel also zur Vermittlung des vollständigen Bildes. Was ich an der parlamentarischen Arbeit besonders schätze, ist der Umstand, dass uns für die Vorbereitung von Kommissionsdossiers jeweils eine sehr umfassende Dokumentation der Studien, der Datenlage und der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Verfügung gestellt wird. Wir brauchen also nicht lange zu suchen, sondern können uns direkt in die Lektüre der Studien vertiefen – was ich hier auch getan habe. Die Resultate der Studie zeigen die zahlreichen Wirkungen, Interaktionen und Rückkopplungen eines Ausbaus der Angebote des Frühbereichs und somit einer Politik der frühen Kindheit im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang auf.

Zentral für die 8 gesamthaft klar positiven Effekte auf die Schweizer Wirtschaftsentwicklung sind vor allem zwei Mechanismen: Einerseits steigt die Anzahl verfügbarer Arbeitnehmenden, da die Eltern von Betreuungsaufgaben entlastet werden. Dies kann für zusätzliche Produktion und Wachstum genutzt werden. Andererseits verbessert sich das Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte, und zwar sowohl in der Elterngeneration über die Berufserfahrung als auch bei der Kindergeneration über deren Kompetenzen und Bildung. Dies wird erst längerfristig wirksam, trägt dann jedoch zum Produktivitätswachstum der Schweiz bei und erhöht somit neben dem BIP auch den Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz. Aus volkswirtschaftlicher Sicht lohnt sich eine Umsetzung des Investitionsprogramms also auf jeden Fall. Dies gilt unter Einbezug der Kosten des Programms mit unterschiedlichen Finanzierungsvarianten und auch unter Berücksichtigung der derartigen Berechnungen inhärenten Unsicherheiten.

Darüber hinaus unterstützen die beobachteten Effekte die Schweizer Wirtschaft dabei, aktuelle Herausforderungen wie den mit dem demografischen Wandel verbundenen Rückgang an Erwerbspersonen oder den Fachkräftemangel zu bewältigen. Neben volkswirtschaftlichen Aspekten werden mit einer Politik der frühen Kindheit auch verschiedene sozial- und gesellschaftspolitische Ziele verfolgt, wie beispielsweise die Gleichstellung der Geschlechter, wie einer Informationsnotiz des BSV zu entnehmen ist.

Was bleibt also zu sagen? Ich bin leicht erschüttert über die thesenjournalistische Art und Weise der Berichterstattung, wie sie in der Luzerner und Aargauer Zeitung zu lesen war. Es wurde nicht nur selektiv eine nicht repräsentative Studie herausgegriffen, sondern auch ein politisches Geschäft vor der Behandlung im Rat in ein objektiv falsches Licht gerückt, was meines Erachtens einer aktiven Irreführung gleichkommt. Ich hoffe sehr, dass dies noch korrigiert wird im Rahmen einer Gegendarstellung und wenn nicht, so versuche ich es zumindest mit meinem Beitrag hier.


Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite


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