Meret Schneider: Leser fragen Schneider

Meret Schneider: Leser fragen Schneider
Meret Schneider, Nationalrätin, Grüne Schweiz. (Bild: parlament.ch)

Als Kolumnistin habe ich prinzipiell stets den Anspruch an meine Texte, sie mögen für eine breitere Öffentlichkeit von Relevanz und Interesse sein. Welche Legitimation hätte sonst das Schreiben, wenn nicht die Aufklärung der Leserschaft über in meinen Augen wenig priorisierte, aber relevante gesellschaftspolitische Themen, Einblick in politische Geschäfte, Einordnungen und Analysen gesellschaftlicher Debatten, zu denen ich aufgrund meines Hintergrundes oder des Fachwissens einen substanziellen Beitrag zu leisten im Stande bin. Selbstverständlich freut es mich besonders, wenn mir rückgemeldet wird, dass auch die Unterhaltung dabei nicht zu kurz kommt und sich der eine oder die andere zu einem Schmunzeln ob einer alltagssatirischen Pointe hingerissen fühlt – so soll es sein.

So habe ich auch meiner Nicht-Wiederwahl und persönliche Befindlichkeiten keine Kolumne gewidmet in der Annahme, das sei weder von Interesse noch von Relevanz und komme einer Selbstinszenierung gleich, die mir fern liegt.

Da mich nach meiner Nicht-Wiederwahl jedoch zahlreiche Fragen und Aufforderungen erreichten, ich möge der Thematik doch bitte einen Artikel widmen und dies nicht einfach “totschweigen”, habe ich mich an der Rubrik des Kolumnisten Peter Schneider bedient, die sich passenderweise “Leser fragen Schneider” nennt – er möge mir diesen Schritt als Ausdruck der Bewunderung für seine Texte verzeihen. Ich habe dazu aufgerufen, mir drängendsten Fragen zu schicken, die ich in einem Interview-Text beantworten werde – in diesem Text.

Wer sich also für diese eher persönliche Thematik nicht interessiert, und Sie haben mein vollstes Verständnis, kann jetzt aufhören und sich gewiss sein: das wird der einzige Text dieser Art sein, ab nächster Woche gibt es wieder wöchentlich knallharte Fakten, Einblicke ins Politikgeschehen, Analysen und gesellschaftliche Entwicklungen von Relevanz. Ich danke Ihnen, dass Sie mir diesen Interview-Ausflug aus meiner textlichen Komfortzone heraus verzeihen. Folgende Fragen sind eine Auswahl aus einer Fülle, die mir zugeschickt wurde und die ich unter Berücksichtigung der Relevanz, und ihrer Exemplarität ausgewählt habe. Es soll hier nicht primär um meine persönliche Befindlichkeit gehen, sondern um eine Möglichkeit, mit Rückschlägen und dem Reflektieren einer Niederlage umzugehen, in der Hoffnung, andere mögen davon für sich etwas mitnehmen.

  • Hatten Sie bereits während des Wahlkampfes Anzeichen für eine mögliche Abwahl wahrgenommen?

Interessanterweise war die Zeit während des Wahlkampfes eine, in der ich die meisten positiven Rückmeldungen meiner ganzen politischen Laufbahn geerntet habe. Ich habe mir vorgenommen, möglichst nahe an den Menschen zu politisieren und während meiner Zeit als Nationalrätin daher die Chance genutzt, in unterschiedlichsten Branchen zu arbeiten, in denen ich sonst nicht tätig geworden wäre. Durch diese Arbeit in der Gastronomie, im Obstbau aber auch zwischenzeitlich als Freiwillige auf Höfen, kam ich mit Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen in Kontakt, was für meine politische Arbeit von grossem Wert war. Dies machte ich auch zum Konzept meines Wahlkampfes, indem ich möglichst viele Gemeinden besuchte und mich voll auf die Begegnungen auf der Strasse konzentrierte. Die schöne Erfahrung dabei war: persönlich sind die Menschen in ihrer grossen Mehrheit freundlich, respektvoll und auch in ihrer Kritik konstruktiv – ganz im Gegensatz zu dem, was ich online erfahre. Während online von gewissen Kreisen meine Abwahl prognostiziert und gefeiert wurde, wobei sich der Hass fast ausschliesslich auf mein Äusseres bezog, erhielt ich im direkten Kontakt fast nur bestärkende und ermutigende Worte. Nichtsdestotrotz war der Fall klar: Umfragen prognostizierten uns in Zürich mindestens einen Sitzverlust, ich war auf dem letzten Listenplatz der Bisherigen und war nicht immer zu 100% auf Parteilinie, was mir intern teilweise Kritik einbrachte. Dies waren deutliche Vorzeichen, die meine Nicht-Wiederwahl bereits im Vorfeld plausibel erscheinen liessen und auch diverse Medien dazu veranlassten, dieses Szenario als das Wahrscheinlichste immer wieder auszumalen.

  • Gab es Aspekte, die Sie anders angegangen wären?

In meinen Augen habe ich zu sehr den Strassenwahlkampf und das unterwegs sein auf Podien und Veranstaltungen priorisiert und dadurch den Online-Auftritt stark vernachlässigt. Ich habe keine Werbung auf den sozialen Medien geschaltet und habe bis heute kein Instagram-Profil – bei einer erneuten Kandidatur würde ich da mit Sicherheit mehr investieren.

  • Wie haben Sie versucht, mit Ihren Wählern während des Wahlkampfes zu kommunizieren? Gab es spezielle Botschaften, die Sie vermitteln wollten?

Mein Slogan auf Plakaten und Flyern war “Für Brücken statt Blockaden”. Das war tatsächlich meine Hauptbotschaft und war auch in meiner Zeit als Nationalrätin die Maxime, von der ich mir wünschte, sie würde zur allgemeinen Gesetzgebung, um mit Kant zu sprechen. In der Tat ist eines der Hauptprobleme im aktuellen Diskurs meines Erachtens eine Gesprächsklimakrise – ein absoluter Unwille zur gegenseitigen Verständigung und kein Funken hermeneutisches Wohlwollen in der Debatte. Statt Gräben zu überwinden, werden diese vertieft, um die gegnerische Position zu schwächen und dabei die eigene Klientel zu mobilisieren und für sich zu gewinnen, besonders im Wahlkampf, aber auch im Alltag. Diese Entwicklung bereitet mir auch mit Blick auf die Zivilgesellschaft zunehmend Sorgen und dem wollte und möchte ich noch immer mit meinem Engagement etwas entgegensetzen. Es muss uns wieder um echte Lösungserarbeitung gehen, statt nur um Problematisierung und Aufmerksamkeit heischen. Den Finger in die Wunde zu legen ist in einem ersten Schritt wichtig, aber in einem zweiten Schritt muss die Wunde verarztet werden, und da hilft manchmal auch das sprichwörtliche Pflästerli, wenn in der Ursachenbekämpfung gerade keine Einigung herrscht.

  • Wie hat die Abwahl persönlich auf Sie gewirkt? Gab es eine Phase der Enttäuschung oder haben Sie die Veränderung als neue Chance betrachtet?

Selbstverständlich ist eine Nicht-Wiederwahl enttäuschend, niederschmetternd und schmerzhaft, das lässt sich nicht beschönigen. Man hat investiert, alles gegeben, den besten Job gemacht, den man eben machen konnte, und dennoch wurde man auf den letzten Platz der Bisherigen gesetzt und nicht wiedergewählt, das tut weh. In einem zweiten Schritt jedoch ist es für mich nun auch eine Zeit des Aufbruchs und der neuen Perspektiven, die sich mir viel schneller eröffneten, als ich zu hoffen gewagt hätte. Inzwischen habe ich mich auf sehr spannende Stellen beworben, in denen ich mein Know-How im Bereich Agrarpolitik und die Kommunikations- und Lösungserarbeitungskompetenz ideal einbringen könnte und bin nun freudig gespannt, wie es weitergeht. Zudem habe ich mir die Freiheit genommen, in der Zwischenzeit überall mitzuarbeiten, wo gerade Not am Mensch ist: in einem befreundeten Gastrobetrieb, in einem kleinen veganen Laden und auf einem Hof und schreibe weiter an meinem Buch. Ich freue mich inzwischen richtig auf die neue Herausforderung und bin zuversichtlich, da vielleicht sogar mehr zu einer konstruktiven Landwirtschaftspolitik beitragen zu können, als es mir als Nationalrätin möglich war.

  • Welche Ratschläge würden Sie anderen Politikern geben, die mit einer Abwahl konfrontiert sind?

Ratschläge sind auch Schläge, das Sprichwort ist bekannt. Letztlich gibt es nur individuelle Wege, mit einer so niederschmetternden Situation umzugehen, ich kann nur von meiner Strategie berichten. Zum einen ist ein Nationalratsmandat ein 70% Job, wenn man es seriös macht und wirklich dossierfest sein will. Dies bedeutet auch, dass man von heute auf morgen seine Haupterwerbstätigkeit los ist und alles, wofür man die letzten vier Jahre gearbeitet hat, wegfällt, was natürlich massive Konsequenzen für die Alltagsgestaltung hat. Für mich war es enorm wertvoll, direkt bei befreundeten Betrieben und Höfen anzuklopfen, ob jemand Hilfe brauchen kann und wo ich mich nützlich machen kann – viele waren froh und ich konnte mich sofort wieder sinnvoll engagieren. Gleichzeitig habe ich direkt neue Stellen in meinem Kompetenzbereich gesucht, mich beworben und mit der Aufgleisung eines neuen Projekts begonnen, für das mir aufgrund des Mandates immer die Zeit fehlte. Zu guter Letzt kam ein Verlag auf mich zu und ich schreibe nun an einem Buch, was ebenfalls ein lang gehegter Wunsch von mir war. All diese Faktoren waren für die Strukturierung des Alltages und meinen Antrieb, mich möglichst bald wieder für meine Herzensthemen Landwirschaft, Tierschutz und Umweltanliegen einzusetzen, von unschätzbarem Wert. Was aber emotional überwältigend und so gar nicht planbar war, waren die Menschen. Es haben sich Menschen aus all meinen Lebensphasen und allen Ecken der Schweiz gemeldet, mich eingeladen, mich unterstützt, ihren Frust, Mitgefühl oder Schmerz über meine Abwahl bekundet und ich fiel nicht in ein Loch, sondern in ein weiches Netz aus Freunden, Bekannten und auch ganz vielen unbekannten Bäuerinnen und Bauern, die mich auf Höfe einluden zum Kaffee oder für längere Auszeiten, einfach weil sie meine Art zu politisieren schätzten. Diese Erfahrung, in einer solchen Lebenssituation aufgefangen zu werden, hat mich tief berührt und wenngleich ich nicht für emotionale Statements bekannt bin und diese in dieser Kolumne auch nicht weiter ausgeführt werden sollen so muss ich konstatieren: wenn meine Abwahl für irgendetwas gut war, dann für die Erfahrung: es ist immer jemand da. Das ist wunderschön zu wissen.


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