Meret Schneider: Mehr Wettbewerb im Detailhandel
Erst kürzlich – im Mai 2024 – die gute Nachricht: Die Bio-Milchpreise bei Coop und Migros sanken, ohne dass die Produzierenden dafür weniger Geld erhielten. Heureka, dachte ich in der Annahme, dass womöglich ein Umdenken stattgefunden habe und man mit den Margen auf biologisch produzierte Agrarprodukte entgegenkommen würde. Doch weit gefehlt: bereits im Juli 2024 ist der Preis für Biomilch bei den orangen Detailhandelsriesen wieder gestiegen, begründet damit, dass die Bauern mehr Geld erhielten.
Klingt soweit so schlüssig, doch wie so oft wirft ein Blick auf die Konkurrenz, in diesem Falle Aldi, Fragen auf: Der Preis für Biomilch bei Aldi wurde nämlich nicht erhöht und dies, obwohl auch hier die Bauern mehr Geld erhalten. Aldi gibt bekannt, dass die Milch nicht nur weniger im Laden koste, sondern die Bauern daran sogar besser verdienten als bei der Konkurrenz. Aldi zahle seinen Bio-Milch-Lieferanten zehn Rappen zusätzlich zum Bio-Milch-Preis, weil die Aldi-Bio-Milch zusätzlich auch noch aus antibiotikafreien Ställen stammen müsse. Der tiefe Preis werde dank effizienten Abläufen möglich, wie Aldi in einem Bericht des Beobachters erläutert.
Warum schaffen es also Coop und Migros, mit koordinierten Preiserhöhungen am Markt ungerechtfertigt höhere Preise nachzufragen? Ein Blick auf einen Bericht des Preisüberwachers[1] betreffend der Preise für Bio-Lebensmittel im Detailhandel des Bundes gibt Aufschluss: Das Hauptproblem besteht in der sehr konzentrierten Marktmacht der beiden orangen Kollegen. Eine Folge der hohen Marktkonzentration von Migros und Coop in der Schweiz sind demnach die hierzulande höheren Preisaufschläge, da sich die beiden dulden und nicht wirklich bekämpfen – anders als beispielsweise in Deutschland finden hier Preiskämpfe viel weniger intensiv statt. Entsprechend äusserte sich der Direktor der Weko (Wettbewerbskommission), Patrick Ducrey, in der Aargauer Zeitung dahingehend, dass Coop und Migros bei früheren Befragungen keine eindeutigen Beweise dafür geliefert hätten, dass sie alle Preisvorteile beim Einkauf an die Kunden weitergeben würden. Und weiter: “Die hohen Bruttomargen sind eine Blackbox”. Eine Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft kam zudem zum Schluss, dass die Marktstruktur des Schweizer Einzelhandels viel stärker konzentriert sei als im Ausland. Dies führe dazu, dass die grossen Schweizer Detailhändler hohe operative Gewinne einfahren könnten.
Werfen wir also einen Blick ins Ausland: In den Niederlanden sind die Marktbedingungen so, dass die Einzelhändler mit ökologischen Erzeugnissen eine relativ geringere Marge und in manchen Fällen sogar einen knapp negativen Reingewinn erwirtschaften. Diese Praxis deutet darauf hin, dass die betreffenden Supermärkte die Verfügbarkeit von Bio-Produkten auch als Signalmittel nutzen, um sich auf dem Markt zu positionieren und (in der Regel einkommensstarke) Verbraucher, die an Nachhaltigkeit interessiert sind, in ihre Geschäfte zu bringen. Dies kann als Folgewirkung der stärkeren Wettbewerbsintensität gewertet werden. Die aus dem Bericht des Preisüberwachers zu entnehmenden Daten zu den Netto-Margen der Schweizer Unternehmen wurden mit der Preisstruktur in den Niederlanden verglichen, wo das Wettbewerbsumfeld intensiver ist: In den Niederlanden sind die Nettomargen in Prozent vom Verkaufspreis gemessen bei den Bio-Produkten ohne Ausnahme tiefer. Das ist ein Indiz dafür, dass das wenig wettbewerbsintensive Umfeld in der Schweiz dazu beiträgt, dass Bio-Produkte stärker verteuert werden, weil sie eine extra hohe Marge zu tragen haben.
Die Detailhändler rechtfertigen dies mit den höheren Produzentenpreise durch die höheren Anforderungen hierzulande, was prinzipiell auch plausibel klingt. Aus den öffentlich zugänglichen Zahlen von Bio Suisse geht denn auch hervor, dass Bio Suisse hohe Rückstellungen tätigt und aus Sicht der Preisüberwachung auffallend hohe Ausgaben im Bereich von Werbung und Marketing aufweist. Rechnet man die minimalen Abgaben ein, die bei der Labelnutzung anfallen, so könnte Bio Suisse in der Grössenordnung von rund 2-5 Prozent der Margen des Detailhandels für ihre Leistungen verantworten: Ein relevanter Betrag, allerdings nicht ausreichend, um die hohen Margen zu rechtfertigen.
In der Ökonomie besteht das Konzept der Kollusion. Sie erfasst jegliche Form der Koordination zwischen Wettbewerbern, durch die Gewinne erwirtschaftet werden, die höher ausfallen, als wenn die Unternehmen miteinander im freien Wettbewerb stünden. Es wird dabei die explizite von der impliziten Kollusion unterschieden. Die explizite setzt eine Vereinbarung voraus oder muss die Verhaltensabstimmung von mehreren Unternehmen anderweitig bestimmen. Das daraus resultierende, abgestimmte Marktverhalten wird vom Wettbewerbsrecht verboten. Die implizite Kollusion hingegen ergibt sich beispielsweise aus dem gegenseitigen Beobachten von zwei oder mehreren Marktteilnehmern, die dann auf die Verhaltensänderungen gegenseitig reagieren, womit sich ein Parallelverhalten bildet.
Diese Marktverhältnisse liegen im Graubereich. Es kann durchaus sein, dass die Unternehmen parallele Preiserhöhungen vornehmen, wie dies bei Coop und Migros oft zu beobachten ist. Klassischerweise ist die implizite Kollusion für die Marktform des Oligopols bekannt, also, wenn sich wenige Unternehmen den Markt teilen. Keine Anreize, um von diesem Parallelverhalten Abstand zu nehmen, haben die Unternehmen dann, wenn sie gemeinsam hohe Marktanteile haben, beachtliche Marktzutrittsschranken existieren und die Marktteilnehmer symmetrisch und die Produkte relativ homogen sind. Als Konsequenz treffen die Unternehmen zwar keine expliziten Absprachen über Preise oder ihr sonstiges Marktverhalten, sie stimmen ihre ökonomische Strategie aber auf die – ihnen bekannte – Produktionsfunktion der jeweils anderen Seite und auf deren zu erwartendes Verhalten ab. Folglich können die Unternehmen für ihre Produkte oder Dienstleistungen einen suprakompetitiven Preis verlangen, anstatt dass sich – wie bei vollkommenem Wettbewerb – der Preis auf das Grenzkostenniveau einpendelt.
Was also bedeutet das nun für Migros, Coop und den Schweizer Markt? Der immer stärkeren Kritik ausgesetzt wäre es für Migros und Coop ev. tatsächlich zielführend, ihre Margenpolitik bei Bioprodukten offenzulegen, um ihre Beteuerungen, keine erhöhten Gewinne abzuschöpfen, mit Fakten zu untermauern. Für uns Konsumierende bedeutet das – und ich hätte nicht gedacht, dass ich die einmal so äussere – dass die Konkurrenz durch Aldi und andere Discounter, solange sie anständige Produzentenpreise bezahlen, auf dem Schweizer Markt tatsächlich eine gute Entwicklung bedeutet. Welcome to Switzerland, Aldi!
[1] https://www.preisueberwacher.admin.ch/pue/de/home/dokumentation/publikationen/studien—analysen/2023.html
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