Meret Schneider: Mercosur und der Wettbewerb um die tiefsten Standards

Meret Schneider: Mercosur und der Wettbewerb um die tiefsten Standards
Meret Schneider, Nationalrätin von 2019 bis 2023, Grüne Schweiz. (Bild: zVg)

Die Globalisierung – nichts bringt mich so zuverlässig immer wieder zum Seufzen und argumentativ Ausholen, wie das aufgeladene Wort Globalisierung. Wir verdanken ihr viel, wir begrüssen den internationalen Austausch von Kultur und Gütern, wir freuen uns an exotischen Produkten und selbst der Riz Casimir, einst Inbegriff von Fernweh und Weltgewandtheit, ist inzwischen zu Schweizer Kulturgut geworden.

Auf der Schattenseite der Globalisierung begegnen wir ausgebeuteten Menschen von international agierenden Grosskonzernen, Intenisvlandwirtschaft, die in Monokulturen für den Weltmarkt produziert und Fabriken, die Billigstprodukten unter für Arbeitnehmende unmenschlichen Bedingungen herstellen. Wenn Güter und Arbeit global gehandelt werden, prallen zwangsläufig nicht nur Kulturen, sondern auch verschiedene Gesetzgebungen aufeinander, insbesondere was Menschenrechte und Umweltstandards betrifft.

Wie viele Pestizide dürfen eingesetzt werden? Wie hoch sind die Löhne der Arbeitnehmenden? Wie sind diese vor Giften und Überlastung geschützt? Wie werden die Tiere gehalten? Alles Fragen, die in unterschiedlichen Ländern sehr unterschiedlich beantwortet werden und entsprechend grosse Auswirkungen auf die Umwelt, aber leider auch auf die Produktionskosten haben. Und dies führt dazu, dass die unterschiedlichen Standards, die eigentlich global gesehen ein Gewinn sein könnten, zu einem Abwärtswettbewerb um die tiefsten Standards führen.

Denn statt dass man sich global an den fortschrittlichsten Ländern orientiert, umweltfreundlichere Techniken möglichst global implementiert und der bessere Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch in Ländern mit geringerem Schutz und schlechterer Gesetzgebung Schule machen würde, greift der Wettbewerb um eine möglichst günstige Produktion um sich. Ein brandaktuelles Beispiel im wahrsten Sinne des Wortes hierfür ist das Handelsabkommen mit Mercosur, das seit Präsident Lula da Silva in Brasilien wieder intensiv vorangetrieben wird. 

Die EU hofft nämlich aktuell auf einen Abschluss des Handelsabkommens mit der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur bis Ende des Jahres – trotz Differenzen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reiste dafür vor zwei Wochen nach Brasilien und die Tonalität entsprach einer Charmeoffensive “dass es es Ross patriotisch hett gmacht”, wie Mani Matter sagen würde.

«Präsident Lula, Sie haben Brasilien dorthin zurückgebracht, wo es als wichtiger Global Player, als Anführer in der demokratischen Welt, hingehört» ist nur einer von vielen O-Tönen, die aufhorchen lassen und Fragen aufwerfen. Klar ist: die komplette Blockade beim Klimaschutz, die unter Bolsonaro ein Handelsabkommen verunmöglicht hatte, wurde unter Lula da Silva aufgeweicht, doch noch immer würde das Abkommen Zölle senken für Pestizide, für Rindfleisch für bestimmte Quoten und Autos mit Verbrennermotoren – Produkte, die nicht nur ein Vorankommen im ökologischen Bereich torpedieren, sondern auch die regionale Landwirtschaft einem noch höheren Preisdruck aussetzen, schliesslich ist der Export von Agrarprodukten einer der wichtigsten Aspekte des Abkommens für Mercosur.

Zwar existiert ein Zusatzprotokoll der EU, das striktere Umweltstandards festlegen soll, doch dieses stösst bei Brasilien auf wenig Wohlwollen. “Es erhöht die Verpflichtungen Brasiliens und sieht bei Nichteinhaltung Sanktionen vor. Die Grundlage zwischen strategischen Partnern sollte gegenseitiges Vertrauen sein, nicht Misstrauen und Sanktionen”, wird da Silva zitiert.

Und dass er sich in einer souveränen Position befindet, ist ihm wohl bewusst, denn längst ist China Brasiliens wichtigster Handelspartner. Während die EU mit den Mercosur-Staaten um das grosse Abkommen ringt, werden in Peking bilaterale Verträge geschlossen. China stellt dabei anders als die EU kaum Forderungen und damit beginnt sich das zuvor erwähnte globale Abwärtskarussell zu drehen. Wer mit wem Handelsabkommen abschliesst, entscheidet sich dadurch, wer die geringsten Standards an die importierten Produkte stellt und am wenigsten Commitment zu Klimaschutzmassnahmen fordert. Doch ist die Lösung nun eine Aufweichung des Zusatzprotokolls und eine Charmeoffensive, wie sie von der Leyen aktuell verfolgt? In meinen Augen sollte die EU – und im Übrigen auch die Schweiz – sich als Handelspartner nicht unter Wert verkaufen, denn das Interesse am Mercosur-Abkommen ist auch von südamerikanischer Seite her gross.

Es gilt im Gegenteil, nun an hohen Standards festzuhalten und Zugeständnisse beim Klimaschutz zu fordern, statt in den globalen Abwärtswettbewerb mit China einzutreten. Denn eine Abwärtsspirale führt – richtig – einfach nur abwärts und das können wir uns global nicht mehr länger leisten. Wenn ein Handelsabkommen mit höheren Standards und entsprechenden Vereinbarungen Schule macht und keine klimaschädlichen und umweltvernichtenden Produkte und Prodkutionsmethoden mehr toleriert und importiert werden – auch nicht aus China – dann kann gelingen, was gelingen muss: dass sich der Wettbewerb endlich in einen um bessere und nicht um billigere Produktion wandelt. Das wäre eine Chance, die uns die Globalisierung neben Riz Casimir auch bietet und die wir nun ergreifen sollten.


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