Ja, ich lese das Coop-Magazin. Auch die Migroszeitung und das “Öise Lade”-Heft, das es in unserem viel geschätzten Volg immer noch gibt und mit seinen “Lug Büsi, wases wieder Neus git!” – Werbungen eine Zeit heraufbeschwört, in der Frauen noch unkommentiert Büsis waren und eine Stalden-Schoggicrème mit Büchsen-Birnen unter dem Namen “Belle Hélène” als gestandenes Dessert-Rezept angepriesen wurde.
Ich lese diese Zeitungen jedoch nicht nur aus Nostalgiegründen oder aufgrund des zuweilen beachtlichen Humor-Potenzials, sondern weil ich die Preisentwicklungen und die Aktionspolitik der Detailhändler und kleineren Läden im Lebensmittelbereich eng und über lange Zeit verfolge. Was wird angepriesen, was ist Aktion und wo besteht ein tatsächliches Überangebot auf dem Markt? Wo lassen sich Aktionen nur durch verfehlte Margenpolitik erklären und warum gibt es zur Grillsaison noch immer Entrecôte aus Uruguay 20% günstiger, obwohl man auf der Vorderseite Tierwohl verspricht? Diese Magazine bieten jenseits von portraitierten, klebrig-intakten Familien am Zmorgetisch Kreuzworträtsel und Werbungen für Treppenlifte (braucht man ständig, ein dunkles Pfünderli und einen Treppenlift, ja gern, darf auch 200g mehr sein) erstaunlich viel Information über das Zusammenspiel von Grosshandel und Produzierenden. So auch vergangene Woche, als ich über eine irritierende Grafik im Coop-Magazin stolperte.
Zu sehen war die Preisentwicklung verschiedener Bereiche wie Krankenkassenprämien, Wohnungsmieten, Elektrizität, Nahrungsmittel aus der EU und Nahrungsmittel in der Schweiz. Überall war ein starker Preisanstieg festzustellen, Krankenkassenprämien lagen bei 48%, Elektrizität bei 24%, Wohnungsmieten bei 15% und Nahrungsmittel aus der EU bei 38%. Irritierend waren die Nahrungsmittel aus der Schweiz, die einen Preisabschlag von 2% zu verzeichnen hatten, was kommunikativ im Coop-Magazin tatsächlich als gute Nachricht verkauft wurde. Des Herrn und Frau Schweizers Fixkosten scheinen zwar aktuell zu explodieren, aber keine Sorge, Schweizer Lebensmittel werden leicht günstiger, wobei das Minus um 2% das gesamtschweizerische Mittel betraf und Coop sich seines Engagements für günstige Preise rühmte.
Angesichts dieses kommunikativen Stunts nicht frei von einer gewissen Doppelzüngigkeit kam ich nicht umhin, mich bei einigen persönlich bekannten Bauern und in den Marktberichten der Bauernzeitung über die Entwicklung von Produzentenpreisen und Prämien für Tierwohllabel-Produkte zu informieren. Schliesslich sind auch die Bäuerinnen und Bauern von den explodierenden Fixkosten betroffen – nicht nur, was die persönlichen Ausgaben, sondern auch, und noch viel gravierender, was die Kosten für Produktionsmittel wie Dünger, Gas und Maschinen betrifft. Anders jedoch als Handwerker*innen und andere Branchen scheinen sie die höheren Kosten nicht auf ihre Produzentenpreise aufschlagen zu können, sondern sehen sich absurderweise gar mit einer Senkung der Preise konfrontiert. Eine kurze Recherche führte denn auch zu Tage, dass aktuell bereits wieder über eine Senkung der Labelprämie für Schweinefleisch diskutiert wird und diese in einigen Bereichen bereits in Kraft getreten ist, wobei die Grossverteiler ihr unrühmliches Versprechen, sich für günstige Preise einzusetzen, durchaus einlösen.
Während wir also mit den steigenden Fixkosten kämpfen und völlig selbstverständlich in Kauf nehmen, dass ein Handwerker aktuell mehr kostet und Energie- und Materialkosten steigen, sehen sich Bäuerinnen und Bauern de facto zusätzlich mit einer Lohnkürzung konfrontiert, die auch noch als Erfolg verkauft wird. Dies entbehrt nicht nur jeden Respekts für die Arbeit und die Situation der Landwirte, sondern ist auch schwer mit den Versprechen in Einklang zu bringen, sich für mehr Tierwohl und faire Entlohnung der Bauern, wie es in den Magazinen der Grossverteiler angepriesen wird, einzusetzen. Mehr tierfreundlicher produziertes Fleisch kann es nur geben, wenn Bauern dafür entsprechend entschädigt werden und keine Verluste einfahren. Sinnvoll und mit den eigenen Werten kongruent wäre es daher, angesichts der steigenden Produktionskosten auch höhere Produzentenpreise und Labelprämien auszuzahlen, damit sich Bauern tierfreundlichere Haltung auch leisten können und diese Produktion gestärkt wird.
Damit leichte Preisanstiege von den Konsumierenden auch angenommen werden, könnte genau eine solche Grafik wie die oben beschriebene zur Erklärung dienen – aber mit dem Fazit, dass sich Coop für faire, statt für günstige Preise einsetzt, indem er beispielsweise mit den Margen entgegenkommt und wir mit den wenigen Rappen Aufschlag (um mehr handelt es sich nicht) den Bauern ihre Existenz ermöglichen. Die Menschen sind, diese Erfahrung mache ich immer wieder, bereit, faire Preise zu zahlen, wenn sie wissen, warum und wer da dranhängt. Aber wir müssen sie informieren. Was eignete sich besser dazu, als ein Magazin der Detailhändler, die damit auch ihrer Verantwortung gerecht würden. Das würde ich mir wünschen für eine tier- und menschengerechtere Produktion und bis dahin kann ich nur empfehlen, auf den Wochenmärkten und bei Hofläden in der Umgebung einzukaufen und mit den Produzierenden ins Gespräch zu kommen. Dort sieht man die realistische Preisentwicklung sehr deutlich und durch den Wegfall des Zwischenhandels sind die Produkte nicht einmal wesentlich teurer.
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