Meret Schneider: Regulierung für die Meinungsfreiheit

Meret Schneider, Nationalrätin, Grüne Schweiz. (Bild: parlament.ch)

Wer Medien konsumiert, wird es mitbekommen haben: Nachdem ich mich in der Sonntagszeitung für Transparenz der Algorithmen und die Möglichkeit, justiziable Inhalte in den sozialen Medien strafrechtlich verfolgen zu können, brach ein Shitstorm globalen Ausmasses über mich herein. Ich hatte mich zudem erfrecht, zu konstatieren, dass es bei fehlender Kooperation und Verweigerung der Plattformbetreiber in letzter Konsequenz möglich sein müsse, entsprechende Plattformen zu sperren. Das führte zur Eskalation.

Von Morddrohungen über simple Anfeindungen bis zu Deepfake-Videos, in denen ich Dinge sage, die mir nie über die Lippen kämen, war alles dabei. Ausgelöst durch Roger Köppel, der den Tagesanzeiger-Artikel mit dem süffisanten Titel “Super-Demokratin Meret Schneider” versah, befeuert durch reichweitenstarke Accounts wie dem österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner, einigen US-Medien und letzten Endes russischen Medien, sowie der Hindustan Times, schaffte es die Geschichte, Meret Schneider wolle X sperren und die Meinungsfreiheit abschaffen (weder das eine noch das andere trifft zu), über Länder und Kontinentsgrenzen hinaus – der Shitstorm natürlich ebenso.

Warum jetzt noch ein Text aus meiner Feder dazu? Ist nicht längst alles gesagt? Nun ja. Die Problematik in der Debatte liegt in einem ganz grundlegenden Missverständnis, nämlich jenem von Meinungsfreiheit und Zensur, das von bestimmten Akteuren ganz gezielt bewirtschaftet wird – dieses möchte ich hiermit ausräumen.

Nach dem Shitstorm erhielt besagter Roger Köppel im Tagesanzeiger in einem Gastbeitrag mit dem irreführenden Titel “Zensur vs. freie Meinungsäusserung” die Möglichkeit, meine Forderung noch einmal in bewusst polemisierender Form an die Lesenden zu bringen und mit Schlagworten wie “Meret Schneiders Meinungspolizei” erneut Öl ins Feuer zu giessen. Es wird in der Debatte stets genau diese falsche Gegenüberstellung bemüht: Meinungsfreiheit, was hier die Freiheit privater (Musk, Zuckerberg) oder staatlicher (TikTok) Plattformbetreiber bedeutet, versus die sogenannte Zensur, welche die Plattformen zur Einhaltung gewisser Regeln mahnt. Die Frage ist allerdings: Was fordere ich denn genau und wie steht es um die Meinungsfreiheit in der aktuellen Situation?

Meine Forderungen sind so simpel wie nachvollziehbar:

1) Plattformen sollen ausweisen müssen, wie ihre Algorithmen funktionieren. Das bedeutet, dass sie transparent machen müssen, welche Inhalte vermehrt gepusht werden bzw. was unterdrückt oder nicht angezeigt wird. Im Falle X wurden vor der Bundestagswahl in Deutschland beispielsweise Posts von der AFD bevorzugt und vermehrt angezeigt, was zu einer Ungleichberechtigung der verschiedenen Meinungen führt. In einer Situation der Meinungsfreiheit müsste jede Meinung mit der gleichen Wahrscheinlichkeit angezeigt werden – ansonsten übt tatsächlich der Plattformbetreiber Zensur, indem er bestimmte Inhalte unterdrückt. Die Forderung nach Transparenz ist also eine, die der aktuell *tatsächlich herrschenden* Zensur durch die Plattformbetreiber entgegenwirkt.

2) Plattformen sollen Ansprechpersonen in den jeweiligen Ländern haben. Dies aus dem Grund, dass es heute kaum möglich ist, bei strafrechtlich relevanten Inhalten diese entfernen zu lassen (manchmal klappt dies, manchmal aber auch nicht, wie beispielsweise bei den Deepfake-Videos, die klare Fälle von Identitätsdiebstahl sind, aber laut X “nicht gegen die Richtlinien verstossen”). Ausserdem können anonyme Accounts von externen Servern strafrechtlich kaum verfolgt werden, was in Anbetracht unseres Strafgesetzes problematisch ist. Was offline verboten ist und sanktioniert wird, soll auch online sanktioniert werden, ansonsten entwickelt sich der digitale Raum, in dem sich ein zunehmender Teil unseres öffentlichen Diskurses abspielt, zu einem rechtsfreien und demokratiegefährdenden Raum.

3) Plattformen sollen in Fällen justiziabler Inhalte oder potenziell gefährlicher Personen (beispielsweise bei konkreten Morddrohungen, Aufrufen zu Gewalt und Terror etc.) dazu angehalten werden, mit den Behörden zu kooperieren. Das bedeutet, dass sie Daten der betreffenden Accounts liefern und bei der strafrechtlichen Verfolgung unterstützen müssen, sofern es in ihrer Kompetenz liegt. Welche Inhalte zu solchen Massnahmen führen, ist dabei weder Willkür noch fordere ich dazu neue Gesetze: Dafür haben wir bereits ein hervorragendes Strafrecht, das aber aktuell im digitalen Raum kaum angewandt werden kann.

Das waren meine drei Forderungen. Davon, unliebsame Meinungen oder andere Inhalte zu zensieren oder zu löschen war nie, absolut nie die Rede. Es geht und ging immer nur darum, dass Nutzerinnen und Nutzer der Plattformen Transparenz darüber erhalten, warum bestimmte Inhalte vermehrt angezeigt werden und darum, ihnen die Möglichkeit zu geben, das Strafrecht, das im analogen Bereich breite Akzeptanz geniesst, auch online anwenden zu können.

Heute liegt die Macht, was wem angezeigt wird, welche Inhalte viral gehen können oder auch nicht (bei TikTok werden beispielsweise Posts von weissen, dünnen Menschen bevorzugt) bei privaten Unternehmern mit eigenen Interessen oder aber im Falle TikTok bei einem staatsnahen Unternehmen und damit bei der Regierung. Das ist keine Situation der Meinungsfreiheit, sondern eine, in der wenige Akteure entscheiden, was wir lesen und sehen – und was nicht. *Das* ist Zensur.

Für eine Situation der freien Meinungsäusserung braucht es die Gleichberechtigung aller Meinungen und die Möglichkeit für alle Akteure, sich zu äussern. Alles andere gefährdet die Demokratie und verschiebt die Hoheit über den Diskurs hin zu wenigen, sehr mächtigen Akteuren, die im Übrigen in den USA gerade Menschen dafür einstellen, Webseiten von Bundesbehörden, die über die Klimakrise und Gesundheitsthemen informieren, zu löschen. Damit will US-Präsident Donald Trump unterbinden, dass sich die Gesellschaft über Gesundheits- und Umweltfragen informieren kann. Soviel, nur soviel zur Zensur und Meinungsfreiheit, lieber Herr Köppel.


Die letzten 10 Kolumnen von Meret Schneider

Exit mobile version