Bern – Das Tauwetter war von kurzer Dauer: Wirtschaftspolitiker fordern eine harte Haltung gegenüber der EU. Die Verhandlungserfolge, die Bundespräsidentin Doris Leuthard beim Besuch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junker erzielte, drohen sich in Luft aufzulösen.
Am Montag war bekannt geworden, dass die EU-Kommission die Schweizer Börsenregulierung nur befristet für ein Jahr als gleichwertig mit der Regulierung in der EU anerkennen will. Eine Verlängerung will sie von Fortschritten beim Rahmenabkommen abhängig machen. In Erwartung der Äquivalenzanerkennung hatte der Bundesrat der EU jedoch die Zahlung einer weiteren Kohäsionsmilliarde zugesichert.
Die SP hatte sich bisher geschlossen hinter diesen Deal gestellt. Nach dem Schlenker der EU sind auch andere Töne zu hören: Er habe damit gerechnet, dass die Gleichwertigkeitsanerkennung Teil des Pakets sei, sagte Beat Jans (BS) am Dienstag der Nachrichtenagentur sda. Das sei alles wieder offen. Die Schweiz müsse die Anerkennung nun einfordern.
Wachsende Skepsis
Überrascht ist Jans allerdings nicht. Die Schweiz habe die Voraussetzungen für die Anerkennung nicht geschaffen, sagte er. «Das Finanzdienstleistungsgesetz bleibt weit hinter der EU-Regulierung zurück.» So habe das Parlament die Versicherungen ausgenommen oder die Prospektpflicht für Vermögensverwalter gestrichen. Auch bei der Aufklärung der Kunden bleibe das Gesetz hinter den EU-Richtlinien.
Auch bei der CVP wächst die Skepsis. Elisabeth Schneider-Schneiter (BL) hält den Druck aus Brüssel für kontraproduktiv. Die Kohäsionsmilliarde werde im Parlament nun einen noch schwereren Stand haben, sagte sie. Die CVP stelle die Zahlungen nicht grundsätzlich in Frage. Der Zugang zum EU-Binnenmarkt sei wichtig – auch für die Börse – und müsse in gewisser Weise erkauft werden.
Aber die CVP werde die Milliarde angesichts der jüngsten Entwicklungen bestimmt nicht durchwinken. Auch beim Rahmenabkommen werde es darum gehen, das Gesamtpaket zu betrachten. Gefordert sei nun der neue Aussenminister Ignazio Cassis.
Keine Konzessionen
Die SVP hat sowohl die Kohäsionsmilliarde als auch ein Rahmenabkommen stets abgelehnt und sieht sich in dieser Haltung bestätigt. Zu Konzessionen ist sie nicht bereit – auch nicht, um Schaden für den Finanzplatz zu verhindern. Die Schweiz dürfe die Freiheit und Unabhängigkeit nicht der Börsenanerkennung opfern, sagte Fraktionschef und Nationalrat Thomas Aeschi (SZ).
Aus Sicht von SVP-Nationalrat und Banker Thomas Matter (ZH) wäre die Anerkennung der Gleichwertigkeit wichtig, aber eine Selbstverständlichkeit. Die Börsen in New York und Hong Kong seien ohne Kohäsionszahlungen oder Rahmenvertrag als gleichwertig anerkannt worden, gibt er zu bedenken. Das zeige den Charakter der heutigen EU. Sie sei protektionistisch und erpresserisch.
«Der Bundesrat muss jetzt auf den Tisch hauen», sagte Matter. Und die Schweiz müsse erst recht ihren Weg gehen. Matter sieht einen Ausweg, um der Erpressung zu entgehen: Die Schweiz soll die Stempelsteuer auf Wertpapieren abschaffen. Damit wäre es kein Problem mehr für die europäischen Händler, über eine Bank zu handeln statt über die Schweizer Börse.
Heikles Powerplay
Der Zürcher FDP-Nationalrat Beat Walti hingegen glaubt nicht, dass ein Powerplay mit Brüssel zum Erfolg führt. Dafür hat die Gleichwertigkeits-Anerkennung seiner Meinung nach zu grosse Bedeutung. Vordergründig gehe es zwar nur um die Finanzmarkt-Infrastruktur. «Wenn aber gewisse Finanzierungsfunktionen nicht mehr gewährleistet sind, ist rasch auch der Werkplatz betroffen», sagte der Wirtschaftspolitiker.
Im Seilziehen mit der EU sieht er die Schweiz am kürzeren Hebel. Für den Wohlstand in der Schweiz sei der Waren- und Dienstleistungsaustausch sehr viel wichtiger als für die EU. «Uns tut es rascher weh», sagte Walti. In dieser Situation sei es wichtig, Verbündete zu finden und die Vorteile für die andere Seite hervorzuheben. Was nicht funktioniere, sei Machtpolitik. «Wer mit der flachen Hand auf den Tisch haut, ist schnell am Ende», ist Walti überzeugt.
Bei der Äquivalenzanerkennung handle es sich nicht um etwas, worauf die Schweiz Anspruch habe, stellte auch Europarechtsprofessorin Christa Tobler in der Sendung «Heute Morgen» von Radio SRF fest. Andererseits hat ihrer Ansicht nach auch die EU gegenüber der Schweiz wenig Druckmittel beim institutionellen Rahmenabkommen. «Man kann einen Vertragspartner nicht zwingen, ein solches Abkommen abzuschliessen, das ist auch der EU bewusst.» (awp/mc/ps)