Bern – Der Nationalrat hat die Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes entschärft. Bei der Beratung der Vorlage am Donnerstag strich er unter anderem das Recht der Versicherungen, die Vertragsbedingungen einseitig zu ändern.
Das ist zwar schon heute möglich, das Bundesgericht setzt aber enge Schranken. Die vom Bundesrat vorgeschlagene neue Bestimmung würde den Versicherten weit gehende Freiheiten einräumen. Diese könnten sich im Schadenfall aus der Verantwortung stehlen, kritisierte CVP-Sprecher Leo Müller (LU). Es sei ein «Verunsicherungsgesetz», wenn die Versicherungen die Spielregeln im Nachhinein ändern könnten, sagte Kathrin Bertschy (GLP/BE).
Maurer unter Beschuss
Die Kritik richtete sich teils ausdrücklich an Finanzminister Ueli Maurer: Er habe nach der Vernehmlassung zahlreiche Forderungen des Versicherungsverbands in den Revisionsentwurf einfliessen lassen, hiess es. Das Resultat sei einseitig und vernachlässige die Interessen der Versicherten. Maurer wies die Vorwürfe zurück. Man habe lediglich die Stellungnahmen in der Vernehmlassung berücksichtigt, sagte er.
Die Linke hatte grundsätzliche Bedenken und verlangte die Rückweisung der Vorlage an den Bundesrat. Prisca Birrer (SP/LU), die die Stiftung für Konsumentenschutz präsidiert, sprach von einem «Affront». Die Anliegen der Versicherten blieben weitgehend auf der Strecke. Auch den KMU werde das Geld aus der Tasche gezogen, sagte Grünen-Präsidentin Regula Rytz (BE).
Kein Wahlkampfgeschenk
Der Rückweisungsantrag scheiterte mit 128 zu 53 Stimmen. Das einseitige Änderungsrecht strich der Nationalrat mit 102 zu 88 Stimmen aus der Vorlage. In der vorberatenden Kommission hatten sich SVP und FDP noch dafür ausgesprochen. Nachdem Konsumentenschützer mit dem Referendum gedroht hatten, gingen sie über die Bücher – eine Abstimmung wäre ein Wahlkampfgeschenk für die Linke im Herbst.
FDP-Sprecher Olivier Feller (VD) anerkannte die «berechtigten Bedenken» der Versicherten. Es gelte, Augenmass zu halten. Auch die SVP wollte nun doch beim geltenden Recht bleiben. «Zum Glück sind hin und wider Wahlen», kommentierte Rytz die Kehrtwende.
«Ungeheuerliche Frechheit»
Das einseitige Änderungsrecht der Versicherungen hatte die Debatte im Vorfeld beherrscht. Es handelte sich aber keineswegs um die einzige umstrittene Bestimmung. Zu reden gab auch das Recht der Versicherung, ihre Leistungen im Fall einer Krankheit oder eines Unfalls einzuschränken oder ganz einzustellen.
«Das ist eine ungeheuerliche Frechheit» sagte Rytz. Versicherten, die ein Leben lang Prämien bezahlt hätten, könnte im Schadenfall der Schutz entzogen werden. Es frage sich, wer da noch eine Versicherung benötige. Laut Maurer genügt es, wenn die Versicherten über die Möglichkeit der Zahlungseinstellung informiert werden.
«Wenn einem Versicherungsnehmer die Klausel nicht passt, kann er auf den Vertrag verzichten», sagte Kommissionssprecherin Daniela Schneeberger (FDP/BL). Die Mehrheit sah das anders. Mit 133 zu 50 Stimmen erklärte der Nationalrat Vertragsbestimmungen für nichtig, die die Zahlungspflicht im Fall von Krankheit oder Unfall einschränken.
Neues Widerrufsrecht
Eine wichtige Verbesserung aus Konsumentensicht ist das Recht, einen Vertragsschluss innerhalb von 14 Tagen zu widerrufen. Eine Mitte-Links-Minderheit setzte sogar durch, dass das nicht nur beim Abschluss, sondern auch bei wesentlichen Änderungen des Versicherungsvertrags gilt.
Die Debatte ist noch im Gang. Offen ist etwa das umstrittene Kündigungsrecht, die Verjährung oder die Möglichkeit der Rückversicherung. Es ist der zweite Anlauf, das über 100 Jahre alte Versicherungsrecht zu ändern. Eine Totalrevision war 2013 gescheitert. Der bürgerlichen Mehrheit ging der Konsumentenschutz damals zu weit. (awp/mc/ps)