AKW Leibstadt.
Bern – Die Schweiz soll aus der Atomenergie aussteigen. Nach dem Bundesrat hat sich auch der Nationalrat dafür ausgesprochen. Er hiess mit grosser Mehrheit drei parlamentarische Vorstösse gut, die den Ausstieg fordern. Mit dem Ja zu den Vorstössen hat sich der Nationalrat gegen den Bau neuer Atomkraftwerke in der Schweiz ausgesprochen. Die bestehenden Atomkraftwerke sollen nach seinem Willen aber nicht vorzeitig abgeschaltet werden: Vorstösse für einen vorzeitige Stilllegung blieben chancenlos.
Ja sagte der Nationalrat zu Motionen der Grünen, der CVP und der BDP. Als erstes stimmte er einer Motion der Grünen zu, mit 108 zu 76 Stimmen bei 9 Enthaltungen. Diese fordert, dass die Schweiz «so bald wie möglich» auf die Atomenergienutzung verzichtet. Einen zweiten Punkt der Motion lehnte der Rat ab. Gemäss diesem Punkt hätte der Bundesrat bereits bis Ende Jahr aufzeigen sollen, welche Massnahmen zu ergreifen sind. Ja sagte der Nationalrat anschliessend auch zu jenen Motionen, die in den vergangenen Wochen im Zentrum der Aufmerksamkeit standen. Mit 101 zu 54 Stimmen bei 36 Enthaltungen hiess er die Motion der CVP gut, mit 99 zu 54 Stimmen bei 37 Enthaltungen jene der BDP.
Grüne, SP, CVP und BDP machten sich für den Ausstieg stark
Die Motion der BDP fordert, dass keine Bewilligungen mehr für neue Atomkraftwerke erteilt werden. Jene der CVP beinhaltet darüber hinaus den Auftrag an den Bundesrat, die erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz zu fördern. CVP-Motionär Roberto Schmidt (VS) hatte zunächst auch noch verlangen wollen, dass der Zeitpunkt der Stilllegung bestehender Atomkraftwerke unter Berücksichtigung des Strombedarfs und der Möglichkeiten alternativer Energiequellen festgelegt werden muss. Diesen Punkt strich er aber, um die Zustimmung zur Motion nicht zu gefährden. Für den Atomausstieg machten sich vor der Abstimmung Grüne, SP, CVP und BDP stark, dagegen die SVP und die FDP. Die FDP-Vertreter hatten allerdings beschlossen, sich der Stimme zu enthalten.
Atomdebatte hat den erwarteten Verlauf genommen
Die Atomdebatte im Nationalrat hat den erwarteten Verlauf genommen: Die Rednerinnen und Redner der SVP und der FDP sprachen sich gegen den Ausstieg aus der Atomenergie aus, jene der SP, der Grünen, der CVP und der BDP dafür. Die Befürworter der Atomkraft warnten vor Problemen mit der Stromversorgung und steigenden Strompreisen, die Gegner verwiesen auf die Risiken der Atomkraft und stellten deren Wirtschaftlichkeit in Frage.
«Energiepolitische Zäsur»
Fukushima sei eine energiepolitische Zäsur, sagte Eric Nussbaumer (SP/BL). «Wir können nicht um die Frage des Atomausstiegs herumtanzen.» Der Ausstieg sei technisch und wirtschaftlich machbar. Nur economiesuisse glaube, Versorgungssicherheit sei mit «Angstmacher-Zeitungsinseraten» zu erreichen. Viele Redner hoben auch die Chancen eines Ausstiegs hervor: Wenn der Nationalrat den Mut aufbringe, sich für den Ausstieg auszusprechen, sei dies ein klares Zeichen an die Wirtschaft, in erneuerbare Energien zu investieren, sagte der Präsident der Grünen, Ueli Leuenberger (GE).
«Keine Zeit für Moratorien»
Ruedi Lustenberger (CVP/LU) gab zu bedenken, die Bevölkerung würde dem Bau eines neuen Atomkraftwerks ohnehin nicht zustimmen. «Der Neubau eines Kernkraftwerks ist demokratiepolitisches Wunschdenken.» Wer nach Fukushima so weiter machen wolle wie bisher, denke antiquiert. Für Moratorien sei keine Zeit, sagte auch Hans Grunder (BDP/BE). «Wenn wir Ja sagen, beschliessen wir einen neuen Generationenvertrag.» Grunder musste sich indes die Frage gefallen lassen, warum sich die BDP bis vor kurzem noch für den Ersatz des AKW Mühlebergs eingesetzt habe. Er erwiderte, es sei erlaubt, schlauer zu werden.
SVP: «Irrationale Diskussion»
Gegen den Ausstieg sprachen sich die Redner der SVP aus. Die Diskussion verlaufe irrational, sagte Hans Killer (SVP/AG). Der Ausstieg sei unrealistisch, er beruhe auf dem «Prinzip Hoffnung». Die Alternativen zur Kernenergie fehlten. Für die SVP sei «ganz klar» auch der Bau neuer Kernkraftwerke eine Option, sagte Killer.
FDP sieht Zeit der Wahrheit noch nicht gekommen
Auch der FDP geht alles zu schnell: Die «Zeit der Wahrheit» sei noch nicht gekommen, sagte Fulvio Pelli (FDP/TI). Die Antwort auf die Frage des Ausstiegs aus der Atomenergie sei nicht dringend, da keines der Schweizer AKW Sicherheitsprobleme habe. Die FDP wolle kein Technologieverbot. Die Energiezukunft dürfe nicht «den grünen und linken Utopisten» überlassen werden, warnte der FDP-Präsident. Anders als die SVP will die FDP die Vorstösse für den Ausstieg aus der Atomenergie allerdings nicht ablehnen. Die FDP-Vertreter wollen sich der Stimme enthalten.
Stromversorgung mit erneuerbaren Energien sicherstellen
Nach der Debatte über die Atomenergie folgt eine zweite über andere Fragen der künftigen Stromversorgung. Der Bundesrat zeigt sich in seinen Antworten mit vielen Anliegen einverstanden. Auch er möchte etwa geprüft haben, wie das Stromnetz umgestaltet werden muss, damit die Stromversorgung mit erneuerbaren Energien sichergestellt werden kann. An Ideen für die künftige Stromversorgung mangelt es den Nationalrätinnen und Nationalräten nicht. Manche möchten die Nutzung der Sonneneinstrahlung in der Wüste fördern, andere die Gewinne der Elektrizitätswerke von deren Stromabsatz entkoppeln. Insgesamt stehen in den beiden Debatten 134 Vorstösse zur Diskussion, 61 zur Atomenergie und 73 zu anderen Fragen der Stromversorgung. (awp/mc/upd/ps/gh)