Nationalrat sagt Ja zum Finanzmarktinfrastruktur-Gesetz
Nationalratssaal. (Foto: parlament.ch)
Bern – Der Handel mit Finanzderivaten soll strenger geregelt werden. Der Nationalrat hat am Freitag als Erstrat dem Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG) zugestimmt, mit dem der Bundesrat die Regeln an internationale Standards anpassen will.
Der Rat hiess das Gesetz mit 140 zu 46 Stimmen bei 11 Enthaltungen gut. Nein stimmte die SVP, der die Regeln zu weit gehen. Ihre Vertreter beantragten eine Reihe von Ausnahmen, die aber abgelehnt wurden.
Die Linke wiederum hätte sich mehr Regeln gewünscht, insbesondere solche gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln und den Hochfrequenzhandel. Von der bürgerlichen Mitte dagegen erhielt Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf Lob für den Verzicht auf einen «swiss finish».
Der Nationalrat hatte sich schon am Mittwoch und Donnerstag über das Gesetz gebeugt. Am Freitag musste er noch über die Sanktionen bei Widerhandlungen entscheiden. Auf Antrag der SVP sprach er sich für deutlich mildere Strafen aus als der Bundesrat vorgeschlagen hatte. Die Strafen bei fahrlässiger Verletzung der Regeln strich er grösstenteils aus dem Gesetz. Fahrlässige Widerhandlungen will er nur bei einer Regel ahnden, allerdings mit einer Busse von höchstens 100’000 CHF statt einer Million.
Keine Schranken für Nahrungsmittelspekulation
Am Vortag hatte der Rat über eine gesetzliche Grundlage zur Eindämmung der Spekulation mit Nahrungsmitteln zu befinden. Er entschied sich dagegen, mit 103 zu 73 Stimmen. Louis Schelbert (Grüne/LU) argumentierte vergeblich, diese Form der Spekulation könne zu steigenden Preisen und Knappheit führen und vergrössere die Gefahr von Hunger und Elend.
Konkret wollten der Bundesrat und eine Minderheit der vorberatenden Kommission im Gesetz die Möglichkeit schaffen, Positionslimiten für Warenderivate einzuführen, um die Einflussmöglichkeiten einzelner Marktteilnehmer begrenzen zu können. Die konkrete Ausgestaltung sollte später auf Verordnungsstufe erfolgen.
Regeln in der EU geplant
Der Bundesrat hatte dies allerdings erst im Verlauf der Kommissionsberatungen vorgeschlagen. Somit war der Vorschlag auch nicht Teil der Vernehmlassung. Widmer-Schlumpf begründete das Vorgehen mit der raschen internationalen Entwicklung. Die EU-Staaten hätten bis nächstes Jahr Zeit, solche Bestimmungen zu erlassen.
Verzichte die Schweiz auf Regeln, bestehe das Risiko, dass der Handel mit Warenderivaten in die Schweiz verlagert werde, was die Reputation des Finanzplatzes gefährden könnte, warnte die Finanzministerin. Die bürgerliche Mehrheit im Rat wollte aber von einer «vorauseilenden» Regulierung nichts wissen.
Folge der Finanzkrise
Kernstück des FinfraG sind Regeln für den ausserbörslichen Handel mit Finanzderivaten. Dass solche erlassen werden, ist eine Folge der Finanzkrise. Diese hatte gezeigt, dass nicht nur Banken, sondern auch Börsen und die Märkte für ausserbörslich gehandelte Derivate (OTC-Derivate) die Stabilität der Finanzsysteme gefährden können.
Derivate sind Finanzinstrumente wie Zertifikate, Optionen, Futures und Swaps, deren Preise von den Kursschwankungen und Preiserwartungen anderer Werte abgeleitet werden. Sie dienen sowohl der Absicherung gegen Risiken als auch der Spekulation.
Meldepflicht und Risikominderungspflicht
Die G-20-Staaten beschlossen Pflichten für den Derivatehandel: Die Pflicht, standardisierte OTC-Derivatekontrakte über zentrale Gegenparteien abzurechnen (Abrechnungspflicht), die Pflicht, sämtliche OTC-Derivatetransaktionen an Transaktionsregister zu melden (Meldepflicht), die Pflicht, standardisierte Derivate über Börsen oder andere elektronische Plattformen zu handeln (Plattformhandelspflicht) sowie die Pflicht zu höheren Kapitalhinterlegungen (Risikominderungspflicht).
Mit dem FinfraG will der Bundesrat in der Schweiz ähnliche Regeln erlassen und so den Zugang der Akteure zum internationalen Markt sichern. Anders als in der EU sollen jedoch in Anlehnung an Regelungen in den USA Ausnahmen für kleinere Vertragsparteien geschaffen werden.
Keine Ausnahmen für Pensionskassen
Der Nationalrat zeigte sich damit einverstanden und folgte mehrheitlich dem Bundesrat. Die SVP forderte eine Reihe von zusätzlichen Ausnahmen, beispielsweise für Pensionskassen. Der Nationalrat lehnte die Anträge jedoch ab. Nur ein Anliegen fand eine Mehrheit: Nach dem Willen des Nationalrates soll es keine Meldepflicht geben für Geschäfte zwischen nichtfinanziellen Gegenparteien, also beispielsweise Industriebetrieben, die mit Derivaten handeln.
Abgelehnt hat der Nationalrat auch Anträge von SP und Grünen. So will er Handelsplätze nicht dazu verpflichten, negative Auswirkungen des Hochfrequenzhandelns zu vermeiden, bei welchem Wertpapiere nach Sekundenbruchteilen bereits wieder verkauft werden.
Auch Regeln gegen fragwürdige Finanzprodukte lehnte der Rat ab. Beat Jans (SP/BS) wollte Börsen dazu verpflichten, bei der Zulassung von Effekten dem volkswirtschaftlichen Nutzen Rechnung zu tragen. Der ausserbörsliche Derivatemarkt sei heute zwölfmal so gross wie die Weltwirtschaftsleistung, kritisierte er. Viele Produkte hätten keinerlei Bezug zu Waren oder Dienstleistungen. Die Gegner befanden, es könne nicht Sache der Börse sein, über den Nutzen von Effekten zu entscheiden.
Das Finanzmarktinfrastrukturgesetz geht nun an den Ständerat. (awp/mc/ps)