Bern – Der Nationalrat hat am Mittwoch einmal mehr über die negativen Auswirkungen des starken Frankens auf die Schweizer Wirtschaft debattiert. Dabei sprach er sich als Erstrat dafür aus, den Tourismussektor nächstes Jahr vorübergehend von der Mehrwertsteuer (MWSt) zu befreien. Die Fraktionssprecher waren sich in einem Punkt einig: Auf die Schweiz kommen wirtschaftlich schwierige Zeiten zu. Wegen des überbewerteten Frankens stünden Exportindustrie und Tourismus immer mehr unter Druck. Tausende Arbeitsplätze drohten verloren zu gehen. Innert eines Jahres könnte die Arbeitslosigkeit deshalb um einen Prozentpunkt auf 4% ansteigen.
Weitgehend Einigkeit bestand auch darin, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) richtig gehandelt hat, indem sie eine Kursuntergrenze von 1,20 CHF für einen Euro festlegte. Nach Ansicht der Vertreter der Exportwirtschaft sowie der Linken reicht dies jedoch nicht. Für die SP müsste die SNB die Untergrenze auf mindestens 1,40 CHF anheben, wie der SP-Nationalrat und UNIA-Geschäftsleitungsmitglied Corrado Pardini (BE) sagte. Auch Vertreter der Industrie fanden, dass die SNB ihre Bemühungen intensivieren muss, um den Franken zu schwächen. Am liebsten wäre ihm ein Wechselkurs von 1.50 Franken für einen Euro, sagte Exportunternehmer Hansruedi Wandfluh (SVP/BE).
Uneinigkeit zu den Massnahmen
Vertreter der bürgerlichen Parteien machten jedoch deutlich, dass sie die meisten zur Diskussion stehenden kurzfristigen Massnahmen nicht unterstützen wollten. Der Politik seien die Hände gebunden, sagte der Industrielle Peter Spuhler (SVP/TG) und erteilte den linken Anträgen, das währungspolitische Instrumentarium auszudehnen, von Beginn weg eine Absage. Diese Vorstösse fanden denn auch allesamt keine Unterstützung. Dies umso mehr nachdem Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf darauf hingewiesen hatte, dass eine Taskforce aus Vertretern des Finanz- und des Volkswirtschaftsdepartements sowie der SNB daran sei, andere währungspolitische Massnahmen zu prüfen.
Konkret geht es etwa um Negativzinsen auf ausländischen Geldanlagen in der Schweiz, Transaktionsabgaben zur Einschränkung der Spekulation sowie Kapitaleinfuhrbeschränkungen. So sei der Bund für den Fall der Fälle bereit. Von den insgesamt 24 Motionen und 4 Postulaten, über die der Nationalrat am Mittwoch zu befinden hatte, wurden am Ende der Debatte nur 4, respektive 2 angenommen.
Zufallsmehr zugunsten des Tourismus
Mit einem Zufallsmehr von 93 zu 92 Stimmen bei 5 Enthaltungen sprach sich die grosse Kammer dafür aus, dem Tourismussektor nächstes Jahr die Mehrwertsteuer von derzeit 3,8% für die Gastronomie und Hotellerie zu befreien. Damit der Bundesrat einen Entwurf für einen entsprechenden dringlichen Bundesbeschluss ausarbeiten muss, braucht es noch die Zustimmung des Ständerats. Bislang hatte sich das Parlament immer gegen ähnlich lautende Vorschläge ausgesprochen. Auch Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann plädierte gegen Massnahmen nach dem «Giesskannenprinzip».
Weiter hiess der Nationalrat eine Motion der FDP gut, die eine rasche Umsetzung der Unternehmenssteuerreform III fordert. Der Bundesrat solle dem Parlament dazu bis Ende März 2012 eine Botschaft unterbreiten, die insgesamt eine Senkung der Unternehmenssteuern beinhalte. Alle anderen Vorstösse zur Senkung von Gebühren und Abgaben – etwa zu den TV- und Radiogebühren oder der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe LSVA – wurden abgelehnt.
Für Kartellgesetzrevision
Angenommen wurde hingegen eine Motion von Markus Hutter (FDP/ZH), die dem Bundesrat den Auftrag erteilt, mit China ein Währungsabkommen abzuschliessen, damit die Schweizer Firmen unabhängig vom US-Dollar nach China exportieren können. Unterstützung fand auch eine Motion von Priska Birrer-Heimo (SP/LU), die eine Kartellgesetzrevision fordert. Angenommen wurden zudem zwei Postulate. Das eine fordert, dass der Bundesrat die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt in Grenzgebieten untersucht.
Das andere verlangt Massnahmen, damit nicht alle leistungsstarken Schulabgänger den gymnasialen Weg einschlagen, sondern auch zu einer Berufslehre motiviert werden. Keine Chancen hatten alle Vorstösse, mit denen die Ratslinke die Vorschriften für systemrelevante Grossbanken verschärfen wollte. Gefordert worden war etwa ein Verbot für das Investment-Banking oder den Eigenhandel. (awp/mc/ps)