Bern – Nach den Wahlen 2015 schien für die Rechte alles möglich. Mit wenig Rücksicht auf die Gegenseite packte die bürgerliche Übermacht im Parlament die Unternehmenssteuerreform III mit eigenen Anliegen voll. Am Sonntag hat die Stimmbevölkerung den Durchmarsch gestoppt.
Rund 60% der Stimmenden lehnten die Vorlage ab. Diese war von allen bürgerlichen Parteien, vom Bundesrat und von den Wirtschaftsverbänden unterstützt worden. Auch die Kantone hatten sich geschlossen hinter die Unternehmenssteuerreform III gestellt.
Doch fand sich nur gerade in Nidwalden, im Tessin, in der Waadt und mit 54,3% am deutlichsten in Zug eine Ja-Mehrheit. In den übrigen Kantonen war die Ablehnung teilweise massiv. In Bern sagten 68,4% Nein, im Jura 66,9% und in Solothurn 65,9%. Das Resultat aus dem Kanton Neuenburg steht noch aus.
Umstrittene Vergünstigungen
In Umfragen hatte sich das Scheitern in den letzten Wochen abgezeichnet. SP, Grüne und Gewerkschaften konnten mit dem Argument punkten, dass Grosskonzerne von der Unternehmenssteuerreform III profitierten, während der Mittelstand die Zeche zahle.
Die Abschaffung der international nicht mehr akzeptierten Steuerprivilegien hatte die Linke zwar unterstützt. Die kantonalen Steuerregimes, von der internationale Unternehmen profitieren, waren ihr seit jeher ein Dorn im Auge. Das Bündel neuer Vergünstigungen, die das Parlament beschlossen hatte, akzeptierte sie aber ebenso wenig wie die damit verbundenen Kosten.
Wichtigste Massnahme war der Zustupf, den die Kantone aus der Bundeskasse erhalten sollten. Damit hätten sie finanziellen Spielraum für eine flächendeckende Senkung des Gewinnsteuersatzes gehabt. Davon sollten alle Unternehmen profitieren, nicht nur die bisher schon privilegierten.
Auf Widerstand stiess aber vor allem der so genannte «Werkzeugkasten». Daraus sollten sich die Kantone nach Ermessen bedienen können, um massgeschneiderte Rahmenbedingungen für die ansässige Wirtschaft zu schaffen.
In der Patentbox hätten Erträge aus Patenten und anderen Immaterialgüterrechten privilegiert besteuert werden können. Die so genannte Inputförderung erlaubte Steuerabzüge über die tatsächlichen Aufwendungen hinaus. Mit der zinsbereinigten Gewinnsteuer sollte ein fiktiver Zins auf nicht benötigtem Eigenkapital abgezogen werden können. Daneben waren günstige Bedingungen bei Aufdeckung stiller Reserven oder Ermässigungen bei der Kapitalsteuer geplant.
Lückenhafte Informationen
Das Paket hätte den Bund gut 1 Mrd CHF gekostet, die Kantone je nach Umsetzung 2 bis 3 Mrd CHF. Die Einbussen liessen sich aber derart schwer einschätzen, dass der Bundesrat im Abstimmungsbüchlein bewusst auf Zahlen verzichtete. Das trug ihm den Vorwurf ein, die Auswirkungen der Reform zu verschleiern.
Die lückenhafte Informationen weckte Erinnerungen an die Unternehmenssteuerreform II. Damals lag der Bundesrat mit seinen Schätzungen derart weit daneben, dass er dafür sogar vom Bundesgericht gerügt wurde. Die Gegner liessen keine Gelegenheit aus, diesen Trumpf zu spielen und vor den Unwägbarkeiten der Vorlage zu warnen.
Tatsächlich gab es viele Fragezeichen: Welche Erträge in Patentbox privilegiert besteuert werden sollten, war beispielsweise noch unklar, weil die Diskussion im Rahmen der OECD noch nicht abgeschlossen ist. Auch über die Ausfälle durch die Aufdeckung stiller Reserven liessen sich keine tragfähigen Aussagen machen.
Die Linke fordert daher für den zweiten Anlauf eine transparentere Vorlage. Zudem will sie eine Unternehmenssteuerreform, die besser gegenfinanziert ist und nicht nur zu Lasten des Mittelstandes geht. Der St. Galler SP-Ständerat und Gewerkschaftsbunds-Präsident Paul Rechsteiner forderte eine «Wende zu Gunsten der Normalverdiener».
Ihre Anliegen hatten die Gegner schon vor der Abstimmung konkretisiert: Eine höhere Dividendenbesteuerung, eine Kapitalgewinnsteuer auf Wertschriften, die enge Begrenzung der Ermässigungen bei Forschungsabzügen und Patentbox sowie die Streichung der zinsbereinigten Gewinnsteuer.
Zweiter Anlauf
Das Seilziehen um eine neue Reform dürfte schon in der Frühjahrsession in zwei Wochen beginnen. Die SP hat bereits eine parlamentarische Initiative Initiative angekündigt mit dem Anliegen, den Fahrplan zu konkretisieren. Von Finanzminister Ueli Maurer fordert sie einen neue Vorlage noch vor der Sommerpause.
Ob es so rasch geht, ist fraglich. Im Abstimmungskampf hatte sich selbst SP-Chef Christian Levrat skeptisch gezeigt, ob eine Reform wie geplant 2019 in Kraft gesetzt werden könnte. Laut Maurer ist das nicht vor 2022 möglich.
Dass es eine neue Vorlage braucht, ist aber unbestritten. Grund sind unter anderem die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Sanktionen. Diese hat ihre Pläne schon Anfang 2016 in einem Strategiepapier skizziert. Darin ist etwa von einer Quellensteuer oder von der Aberkennung der steuerlichen Abzugsfähigkeit die Rede. Solche Massnahmen würden die Schweiz für internationale Unternehmen zu einem teuren Pflaster machen.
Ob es tatsächlich so weit kommt, ist offen. Die EU hat die Schweiz kürzlich zu einer «gemeinsamen Analyse» der Unternehmensbesteuerung eingeladen – zusammen mit rund 90 weiteren Ländern und Gebieten. Der Prozess soll bis Ende 2017 abgeschlossen sein, danach sind die EU-Mitgliedstaaten mit Sanktionen am Zug. Der Bundesrat wird gefordert sein, der Schweiz darüber hinaus Aufschub für einen zweiten Anlauf zu verschaffen.
Für die bürgerlichen Parteien dürfte das Abstimmungsresultat ein Denkzettel sein, dass es nicht nur im Parlament, sondern auch in der Bevölkerung Mehrheiten braucht. Wie gut die Botschaft angekommen ist, wird sich beim Endspurt der Debatte über die Reform der Altersvorsorge in der Frühjahrsession zeigen. (awp/mc/upd/ps)