Bern – Familien, die ihre Kinder selber betreuen, kommen weiterhin nicht in den Genuss von Steuerabzügen: Die Familieninitiative der SVP wurde mit 58,5% deutlich abgelehnt. Für die Initianten ist das Resultat die Folge einer «Behörden- und Medienkampagne».
Alle grossen Parteien sprachen sich gegen die SVP-Initiative aus. Auch die CVP hatte entgegen dem Willen der Parteileitung und der Mehrheit der Bundeshausfraktion die Nein-Parole beschlossen.
Die Gegner bezeichneten den Eigenbetreuungsabzug als Steuergeschenk für Reiche. Zudem warnten sie vor Steuerausfällen für Bund und Kantone in der Höhe von 1,4 Mrd CHF.
Mit diesem Szenario sei das Volk angelogen worden, sagte die Berner SVP-Nationalrätin Nadja Pieren. Überhaupt sei es bedenklich, dass bei einer familienpolitischen Vorlage die öffentlichen Finanzen in den Vordergrund gerückt worden seien.
Die grünliberale Nationalrätin Tiana Moser (ZH) hingegen zeigte sich erfreut darüber, dass es den Gegnern gelang, «die Argumente der Initianten zu entlarven.» Dazu hätte etwa die Behauptung gehört, mit dem heutigen Abzug für die Fremdbetreuung würden Familien benachteiligt, die ihre Kinder selber betreuten.
Fremdbetreuungsabzug seit 2011
Der Fremdbetreuungsabzug wurde 2011 eingeführt. Bei den Bundessteuern können seither maximal 10’100 CHF für die Kosten einer Krippe oder Tagesstätte abgezogen werden. Die Kantone mussten ebenfalls einen Abzug einführen, wobei es grosse Unterschiede bei der Höhe dieses Abzugs gibt.
Damit wurde die steuerliche Benachteiligung von Eltern, die ihre Kinder in die Kindertagesstätte geben, beseitigt. Aus der Sicht der SVP wurde damit aber eine Ungerechtigkeit geschaffen.
Sie verlangte deshalb, dass Eltern, die ihre Kinder selber betreuen, ein mindestens gleich hoher Steuerabzug gewährt wird wie jenen Eltern, die ihre Kinder von Dritten betreuen lassen.
Nur drei Kantone sagen Ja
Mit dieser Forderung stiess die SVP aber nur in den drei konservativen Kantonen Appenzell Innerrhoden (52%), Schwyz und Uri (beide 51%) auf Anklang. Besonders deutlich fiel die Ablehnung in den Kantonen mit den grossen Städten aus: Waadt lehnte mit 67% ab, Genf und Basel mit je 66% und Zürich mit 61%.
Schweizweit lehnten 1’604’500 Personen die Initiative ab, 1’139’700 Personen nahmen sie an. Das entspricht einem Stimmenverhältnis von 58,5 zu 41,5%.
Bei einer Trendumfrage von Mitte Oktober lag die SVP mit ihrer Initiative noch gut im Rennen. Die Umfrage ergab eine Zustimmung von fast zwei Dritteln. Aufgeschreckt durch diese Werte intensivierten die Gegner ihre Bemühungen, worauf der Vorsprung rasch schwand. Allerdings richtete die SVP für einmal nicht mit der grossen Kelle an. Der Abstimmungskampf blieb eher ruhig.
Widmer-Schlumpf: Volk für offene Gesellschaft
Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf wertete das Nein als Bestätigung der heutigen Familienbesteuerung. Das Stimmvolk habe sich für eine offene Gesellschaft mit unterschiedlichen Familienmodellen ausgesprochen. Damit würden Familien weiterhin nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert und die Gleichbehandlung gewahrt.
Widmer-Schlumpf hatte bereits in der Abstimmungskampagne einen Systemwechsel bei der Familienbesteuerung angekündigt. Sie will von den zahlreichen Steuerabzügen für Kinder wegkommen und stattdessen auf die heute schon existierenden Zulagen setzen.
Ihr Departement werde nun wie angekündigt einen Bericht zu einem Systemwechsel erstellen, sagte die Finanzministerin am Sonntag. Dieser werde nächstes Jahr vorliegen, worauf die «grossen Diskussionen» beginnen könnten.
SVP verlangt Kostenrechnung
Die SVP ihrerseits will nun von Widmer-Schlumpf und von den kantonalen Finanzdirektoren wissen, «wie viele Hunderte von Millionen die familienexterne Betreuung in Krippen und Tagesschulen kostet».
Auf der Basis dieser Vollkostenrechnungen könne dann über weitere Massnahmen, «die zu einer verstärkten Gleichbehandlung von Familien führen, die ihre Kinder selber betreuen, diskutiert werden».
Zur Debatte kommen werden bald auch zwei CVP-Initiativen, welche Kinder- und Ausbildungszulagen steuerfrei erklären und die letzten Reste der Heiratsstrafe bei den Steuern beseitigen sollen. Beide Volksbegehren werden noch vom Parlament beraten. (awp/mc/upd/ps)