Nicole Heimann: Kein nachhaltiges Leadership ohne Authentizität
Wie können Investoren und Verwaltungsräte, Mitarbeitende und andere Interessensgruppen in der Lage sein, ihren Führungskräften zu vertrauen, dass sie ethische Entscheidungen jenseits des Egos treffen – für die Umwelt und für unsere zukünftigen Generationen?
Von Nicole Heimann
Gute und vertrauensvolle Führung basiert mehr denn je auf Integrität und wahrhaftigem Handeln. Wenn zwischen Worten, Handlungen und Verhalten Einklang herrscht, kann Vertrauen entstehen.
Je grösser das Ego, desto weniger Integrität.
Integrität – und so wie Harry Kraemer, ehemaliger Vorsitzender und CEO von Baxter, sagt: «Es geht nicht darum, die Dinge richtig zu machen, es geht darum, das Richtige zu tun.» – steht in direktem Zusammenhang mit der Entwicklung von Authentizität.
Es gibt viele Definitionen von Authentizität. Wir definieren Authentizität als einen dynamischen Prozess der ständigen Weiterentwicklung zu einer besseren Version von sich selbst. Dies ist ein PROZESS, der niemals endet und die Erkenntnis voraussetzt, dass jeder für die Auswirkungen seines eigenen Handelns selbst verantwortlich ist.
Sobald wir uns auf unser inneres Wachstum einlassen, erhalten wir Zugang zu drei Schlüssel-Ressourcen, nach der jede Führungskraft strebt: Weisheit, Vertrauen und Kreativität.
Dies ist wichtig, weil die Komplexität der Herausforderungen auf globaler Ebene Führungskräfte braucht, die Wissen mit Weisheit verbinden können, die den Mut haben, vertrauensvoll Wege zu gehen, ohne alles im Voraus zu wissen, aber wissen, dass die Richtung stimmt. Es braucht Führungskräfte, die den Mut haben, anders zu denken, ihrer Kreativität zu folgen und nicht aus Sicherheit und Bequemlichkeit nur konventionelle Methoden wählen.
Um Authentizität in der Organisation zu etablieren, müssen Führungskräfte sich ihrer selbst bewusst sein und selbstreflektierend und ehrlich handeln. Sie müssen «in sich gehen» und ihre Stärken und Schwächen, ihr Wertesystem und ihre Ego-Anteile kennen. Sie müssen ihre tiefsten und ihre falschen Überzeugungen reflektieren und einordnen können. Es gibt leider keine schnelle Abkürzung.
Jede Führungskraft hat seinen oder ihren persönlichen «universal struggle». Was meine ich mit einem «universal struggle»: Auf unserem Weg als Führungskraft, auf dem wir unsere Karriere vorantreiben, an Seniorität gewinnen und immer mehr Verantwortung tragen, werden uns immer wieder unerwartete Herausforderungen in den Weg gelegt. Mal ist es Druck, mal Einsamkeit, Konflikte, ungeplante Schwierigkeiten, Einflüsse von aussen oder Ängste – wobei man sagen kann, dass erfolgreiche Manager statt «Angst» lieber das Wort «Stress» benutzen.
Sich diesen Herausforderungen bewusst zu stellen, ist der Weg zu authentischem Leadership.
Je höher Sie in der Hierarchie sind, desto mehr «Macht» haben Sie. Die Frage ist, wie gehen Sie damit um? Welcher Teil in Ihnen übernimmt die Führung?
Es gilt sich also zu entscheiden, ob Sie
- sich mit Ihrer inneren Kraft verbinden und einflussreich und inspirierend führen
- sich mit den verschiedenen Ebenen des Egos, Konditionierung, Angepasstheit oder (unbewussten) Ängsten verbinden und dadurch mit Macht und Kontrolle führen
Einfach gesagt, aber WIE arbeiten wir an unsere Authentizität?
In meinem Buch «How to develop the authentic Leader in You” erkläre ich alles sehr ausführlich. Erlauben sie hier eine kurze, pragmatische Version:
Phase 1 – Wir werden geboren – mit all unserer Authentizität – sind frei.
Phase 2 –
Unser Leben beginnt zu wachsen, wir werden geformt durch unsere Eltern, das Schulsystem, unsere Umgebung und unser soziales Umfeld – ohne es wirklich mitzubekommen, verlieren wir die Verbindung mit unserer inneren Freiheit und bauen uns schützende Mauern, in denen wir Bereiche unseres Egos, Verletzungen, Konditionierungen und Angepasstheit finden. Wir beginnen, diese Mauer anzunehmen – uns damit zu identifizieren – tatsächlich hält sie uns jedoch fern von unserer inneren Kraft und Weisheit – wir verlieren die Verbindung zu unserem wahren ICH.
In die Führungsarbeit übersetzt nennen wir es reaktives Verhalten. Dieses reaktive Verhalten wird im Führungsstil adaptiert, was angstbasiertes Führen zur Folge hat. Die drei grössten zugrundeliegenden Ängste sind die Angst vor Versagen, die Angst vor Imageverlust und die Angst vor Ablehnung. Es kommt der Zeitpunkt in unserem Leben, an dem wir realisieren, dass wir unglücklich sind und nicht sein können, wer wir wirklich sind, und wir feststellen, dass wir an den Herausforderungen und den “universal struggles” wachsen MÜSSEN. Wir erkennen, dass wir neue Wege erkunden müssen, weg vom Ego, von den Ängsten, da wir sonst weder inspirierende noch einflussnehmende Führungskräfte sind.
Phase 3 –
Wir integrieren innere Arbeit und ständige Reflexion in unser Führungsalltag und unser Leben. Wir haben uns wieder verbunden mit unserer inneren Kraft und Weisheit, von der wir getrennt waren. Der grosse Unterschied ist, dass wir unterscheiden können zwischen die Macht der Teile in «der Mauer» und unserer inneren Kraft. Das Ego ist noch da, aber unser Bewusstsein erhöht, wir erkennen und lassen nicht mehr zu, dass es uns führt. Wir haben gelernt «bei uns» zu bleiben und uns immer wieder mit unserer Kraft zu verbinden. Triggers, die unsere Ego-Anteile provozieren wird es ja immer geben.
In unsere Executive Coaching Prozesse arbeiten wir mit unserer Methode: Die Integration der Sieben Dimensionen der Führungsintelligenz: physische Intelligenz, emotionale Intelligenz, pragmatische Intelligenz, Kommunikationsintelligenz, Herzintelligenz, die neurowissenschaftliche Intelligenz und die Bewusstseinsintelligenz:
Bei der physischen Intelligenz geht es um die Wertschätzung der Gesundheit: Angefangen bei der eigenen, über die Gesundheit der Mitarbeitenden, bis hin zur allgemeinen Gesundheitskultur im Unternehmen. Wir alle neigen dazu, unseren Körper im alltäglichen Stress zu ignorieren. Das führt dazu, dass wir müde, unkonzentriert und gestresst sind. Wie können wir erwarten, innovativ zu sein und andere zu inspirieren, wenn unsere Gehirn- und Körperzellen müde und erschöpft sind?
Die emotionale Intelligenz ist die Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie das Selbstmanagement. Sich des eigenen emotionalen Zustands bewusst zu sein und ihn zu managen ist die Essenz dieser Dimension. Die Führung wird stärker und wirkungsvoller, wenn Sie sich selbst kennen und wenn Sie Ihre Verhaltensweisen, Ihre inneren Motivationen, Ihre Stärken, aber auch Ihre selbstsabotierenden Mechanismen unter Stress verstehen.
Die pragmatische Intelligenz ist die Kombination aus IQ und Erfahrung. Wir können diese Intelligenz als allgemeine kognitive Problemlösungsfähigkeit und geistige Fähigkeit definieren, die beim Argumentieren, Rechnen und Lernen beteiligt sind. Während wir wachsen, Wissen erwerben und aus täglichen Interaktionen lernen, kombinieren wir den IQ mit unseren Lernerfahrungen. Dies ist der Intelligenzbereich, der typischerweise bei Führungskräften hoch entwickelt ist. Die pragmatische Intelligenz ist die Basis der Konsensrealität: Visionen, Ziele, Strategien, Fakten, Zahlen, objektive Messungen, Aufgaben, Ereignisse, To-Do-Listen, Aktionspläne und das Zusammenbringen von allem.
Bei der Kommunikationsintelligenz geht es um die Fähigkeiten, sich wahrhaftig zu verbinden und starke Beziehungen aufzubauen, zu verstehen, wie man die andere Person motivieren kann, und die Fähigkeit, Konflikte in Wachstumschancen zu verwandeln. Es beginnt mit der Fähigkeit des intensiven (und aktiven) Zuhörens, was zur Führungspräsenz beiträgt. Das Erforschen der Art und Weise, wie wir reagieren und vor allem, wie wir führen, verbessert die Art und Weise, wie Menschen uns sehen und erhebt unsere Arbeitsbeziehungen zu vertrauensvollen Führungsallianzen.
Bei der Herzintelligenz geht es um eine Intelligenz, die die Intelligenz des Verstandes übertrifft. Im Coaching-Prozess lernen wir, wie wir die Weisheit des Herzens nutzen können, um unsere Ansichten zu Themen, die in diesem Moment relevant sind, zu transformieren oder das Spektrum unserer Wahrnehmungen zu erweitern. Akzeptanz, Vergebung, Dankbarkeit, Wertschätzung, Liebe, Frieden, Empathie, Mitgefühl, Loslassen und Verletzlichkeit sind Qualitäten, die uns auf eine tiefere Weise beeinflussen, wenn wir uns bewusst mit unserer Herzregion verbinden. Die Herzintelligenz zu integrieren bedeutet, mit mitfühlender Verantwortlichkeit zu führen, was wiederum ein Umfeld der Fürsorge schafft und gleichzeitig für Klarheit und Grenzen sorgt.
Neurowissenschaftliche Intelligenz – Das menschliche Gehirn ist ein Netzwerk aus etwa einer Milliarde Neuronen. Wir können die Neuroplastizität des Gehirns optimal aktivieren, um bewusst zusätzliche neuronale Bahnen in Form von neuen Gewohnheiten und Verhaltensweisen aufzubauen. In dem Buch Mindsight beschreibt Dr. Dan Siegel, dass Fokus einer der fünf wichtigen Schlüssel zur Neuroplastizität ist. Letztlich geschieht genau das durch einen Coaching-Prozess: neue neuronale Bahnen werden geschaffen. Diese Offenheit und Bereitschaft bringt die Qualität der Bescheidenheit mit sich, die Teil der Führungspräsenz der inspirierenden Führungskraft wird.
Bewusstseinsintelligenz ist die Erwägung der Möglichkeit, dass etwas Grösseres als wir, jenseits von Zeit und Raum, existiert. Wenn wir weiter in unsere eigene Essenz eintauchen, können wir nicht nur die Verbindung zu uns selbst, sondern zu etwas viel Grösserem als uns selbst und unserer menschlichen Intelligenz wahrnehmen. Wir verlagern uns ganz natürlich von «ich» zu «wir», von «mir» zu «uns». Indem wir uns selbst als Teil von etwas viel Grösserem akzeptieren und indem wir unsere Verbindung erkennen und uns daher der Auswirkungen unserer Handlungen im Netzwerk bewusst sind, ist unsere Führung stärker, umfassender und kooperativer.
Durch den Prozess der Integration, wird die authentische Führungskraft dazu befähigt mit Bewusstsein, Flexibilität und Gelassenheit zu führen. Um wirklich Einfluss zu nehmen und zu inspirieren, müssen wir uns zuerst der Verletzlichkeit und Bescheidenheit stellen, damit wir uns öffnen können und uns mit anderen verbinden.
Mit dem Vorleben von authentischem Leadership geben Sie den Mitarbeitenden Erlaubnis, auch an ihrer Authentizität zu arbeiten. Sie leben vor, wie Bescheidenheit, Mut und Disziplin wichtige Führungsqualitäten sind.