Stimmbevölkerung lehnt CO2-Gesetz überraschend mit 51,6 Prozent ab

Co2

(Pixabay)

Bern – Die Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung will nichts unternehmen zur Reduktion des Treibhausgasausstosses. Das CO2-Gesetz wurde am Sonntag mit 51,6 Prozent abgelehnt. Die jahrelange Arbeit von Bundesrat und Parlament in Sachen Klimaschutz hat sich nicht ausbezahlt.

Der breit getragene Kompromiss schaffte die letzte Hürde nicht. Gemäss den Endresultaten aus den Kantonen erreichte das Bundesgesetz über die Verminderung von Treibhausgasemissionen (CO2-Gesetz) nur in Basel-Stadt, Genf, Neuenburg, in der Waadt und in Zürich eine Mehrheit. Unter dem Strich lehnten 51,6 Prozent der Stimmenden und 18,5 Stände die Vorlage ab. In absoluten Zahlen waren 1’671’200 Stimmende dagegen und 1’568’000 dafür.

Die Ablehnung der Vorlage überrascht: Die Umfragen von SRG und Tamedia hatten in den Wochen vor der Abstimmung jeweils mit einem Ja gerechnet. Die Zustimmung zur Vorlage sank jedoch, je näher das Abstimmungsdatum rückte.

Nun sieht es so aus, als ob die ländliche Bevölkerung wegen der beiden Agrarinitiativen viel stärker als üblich mobilisiert wurde. Viele dürften neben dem Nein zur Trinkwasser- und zur Pestizidinitiative auch ein Nein zum CO2-Gesetz in die Urne gelegt haben. Diese Meinung äusserten verschiedene Experten unisono. Die Stimmbeteiligung war mit 58,9 Prozent ungewöhnlich hoch.

Der Blick auf die Abstimmungskarte bestätigt den Stadt-Land-Graben. In ländlich geprägten Kantonen wurde das CO2-Gesetz geschlossen abgelehnt – und das teilweise deutlich. In urbanen Kantonen sagte die Stimmbevölkerung hingegen Ja, konnte das Resultat aber nicht mehr entscheidend beeinflussen.

SVP im Hoch – Schlappe für Sommaruga
Das Nein ist ein herber Rückschlag für die ambitionierte Klimapolitik des Bundesrats und insbesondere eine bittere Niederlage für Umweltministerin Simonetta Sommaruga. Statt eines ersten Schrittes zur Erfüllung des Pariser Klimaabkommens ist der Klimaschutz nun wohl für Jahre blockiert. Politologen sprachen am Abstimmungssonntag von einem «politischen Paukenschlag» und einem «Scherbenhaufen für den Schweizer Klimaschutz».

Nach dem Wahlerfolg der grünen Parteien im Herbst 2019 und den grossen Klimastreiks mit zehntausenden Jugendlichen ist die ökologische Welle zumindest für den Moment abgeebbt.

Als grosse Siegerin darf sich die SVP fühlen. Sie konnte mit ihren Nein-Argumenten weit über ihre eigene Basis hinaus überzeugen. Nach einigen Abstimmungsniederlagen feiert die wählerstärkste Partei nun wieder einen wichtigen Erfolg.

Die SVP und ihr Kampagnenleiter, der Solothurner Nationalrat Christian Imark, haben es geschafft, die Nachteile des Gesetzes ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rufen. Im Zentrum der Nein-Kampagne stand das Geld: Die Gegner der Vorlage warnten etwa vor höheren Benzinpreisen und teureren Ferien. Gleichzeitig stellten sie die Wirksamkeit des CO2-Gesetzes im weltweiten Kontext infrage.

Unterstützung erhielt die SVP vom Hauseigentümerverband, der Erdöllobby, Autoverbänden und weiteren kleineren Wirtschaftsverbänden. Sie führten einen zuweilen sehr emotionalen Abstimmungskampf und wandten sich an den Mittelstand, letztlich mit Erfolg.

Jahrelange Arbeit für nichts
Unklar ist, wie die Reduzierung der klimaschädlichen CO2-Emissionen nun erfolgen soll. Die Schweiz hat sich mit dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet, dass bis 2050 unter dem Strich keine Treibhausgase mehr ausgestossen werden. Das revidierte CO2-Gesetz wäre ein Schlüsselelement der künftigen Schweizer Klimapolitik gewesen.

Dass der Souverän nicht bereit ist, für das Klima allzu grosse persönliche Entbehrungen und wirtschaftliche Einbussen in Kauf zu nehmen, hat er nicht zum ersten Mal betont: Im Jahr 2000 wurden drei Vorlagen zur Besteuerung von nicht erneuerbaren Energien mit 52 bis 79 Prozent Nein abgelehnt. In den Folgejahren scheiterten auch verschiedene Volksinitiativen. Mit dem Ja zum Energiegesetz sagten die Abstimmenden 2017 immerhin dem Atomstrom Adieu.

Dass der Klimawandel Tatsache ist, haben im Abstimmungskampf auch die Gegner des CO2-Gesetzes nicht bestreiten mögen. Die Frage war vielmehr, ob die Vorlage das angemessene Mittel ist, um dem Klimawandel zu begegnen.

Die Mehrheit der Stimmbevölkerung beantwortete diese Frage nun mit Nein. Damit bleibt es erst einmal beim Status quo. Die verschiedenen geplanten Massnahmen, die während Jahren heftig diskutiert wurden, fallen dahin.

Im CO2-Gesetz verankert werden sollten etwa Reduktionsziele in verschiedenen Sektoren. Gebäude sollten klimafreundlich saniert, Ladestationen für Elektroautos gebaut, Elektrobusse im öffentlichen Verkehr beschafft sowie Fernwärmenetze gefördert werden. Wären verschiedene Zwischenziele verfehlt worden, hätte die CO2-Abgabe – etwa auf Benzin und Erdöl – erhöht werden sollen.

Schnelle Alternativen gefordert
SP, Mitte, Grüne, FDP und GLP standen im Abstimmungskampf gemeinsam für das CO2-Gesetz ein. Für ein Ja warben auch die Kantone, Städte und Gemeinden, mehr als neunzig zivilgesellschaftliche Organisationen und 200 Unternehmen. Die Vorlage sei «machbar, vernünftig und notwendig», hiess es von Seiten der Befürworter.

Mehr als die Hälfte der Gelder aus der CO2- und der Flugticketabgabe wären laut dem Bundesrat an die Bevölkerung zurückverteilt worden. Jede Person hätte ungeachtet ihres Verbrauchs den gleichen Betrag erhalten. Der Rest wäre in den Klimafonds geflossen. Mit diesem hätten klimafreundliche Investitionen unterstützt und innovative Unternehmen gefördert werden sollen.

Die SVP lehnte das Gesetz als einzige Bundesratspartei ab, weil es «allen Grundsätzen einer freiheitlichen und bürgernahen Politik» widerspreche. Die Vorlage strotze vor Verboten und Umerziehungsmassnahmen. Das Gesetz koste viel und bringe nichts.

Auch einige Klimaschützer waren unzufrieden. Das CO2-Gesetz reiche bei weitem nicht aus, um die Klimaerwärmung zu stoppen. Die Politik habe die Dringlichkeit der Klimakrise immer noch nicht erkannt. Nun wird sie mehr denn je gefordert sein, mehrheitsfähige Klima-Vorlagen zu präsentieren.

Als Alternative stellte ein Teil der Kritiker des CO2-Gesetzes im Abstimmungskampf einen Zehn-Punkte-Plan vor. Demnach sollte überschüssiger Strom, der etwa in der Nacht oder an sonnigen Tagen anfällt, eingesetzt werden, um Wasserstoff herzustellen. Dieser Wasserstoff sollte etwa als Treibstoff für Autos, als Brennstoff für Energie und zur Heizung von Häusern verwendet werden. Die Befürworter bezeichneten die Wasserstofftechnologie als gute Ergänzung zum CO2-Gesetz, jedoch nicht als «Alternative». (awp/mc/pg)

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