Bern – Nach Ansicht der Wirtschaftskommission des Nationalrats (WAK) könnte die Personenfreizügigkeit mit der EU ohne deutliche Verschärfung der flankierenden Massnahmen in der Bevölkerung den Rückhalt verlieren. Die WAK will deshalb die Schraube noch stärker anziehen als vom Bundesrat vorgeschlagen.
So empfiehlt die WAK des Nationalrats nicht nur, die Vorschläge des Bundesrats mit wenigen inhaltlichen Änderungen gutzuheissen. Insbesondere empfiehlt sie als «Massnahme mit Biss» mit 15 zu 8 Stimmen bei 5 Enthaltungen, eine Solidarhaftung einzuführen, wie WAK-Präsident Christophe Darbellay (CVP/VS) am Dienstag vor den Medien sagte. So sollen Firmen dafür haftbar gemacht werden können, wenn von ihnen engagierte Subunternehmen Schweizer Mindestanforderungen an Löhne und Arbeitsbedingungen nicht einhalten. Dies entspricht einer Forderung der Gewerkschaften.
«Berechtigte Ängste und Sorgen»
Laut Darbellay befürchtet die Kommissionsminderheit wegen dieser Massnahme einen unverhältnismässigen Aufwand. Die Mehrheit sei dagegen der Ansicht, dass dieses Instrument «absolut entscheidend» dafür sei, damit die Bevölkerung die Personenfreizügigkeit und den bilateralen Weg auch in Zukunft unterstütze.
Es gebe im Zusammenhang mit dem freien Personenverkehr in der Bevölkerung «berechtigte Ängste und Sorgen», sagte Darbellay. Vor acht Jahren, bei der Einführung der Personenfreizügigkeit, habe die Politik flankierende Massnahmen beschlossen, um so für gleich lange Spiesse zwischen ausländischen und inländischen Anbietern zu sorgen.
Probleme aufgezeigt
Der Bundesrat habe letztes Jahr aufgezeigt, dass es dennoch Probleme gebe. Gemäss dem Bericht des Bundesrats umgehen ausländische Anbieter die flankierenden Massnahmen insbesondere, indem sie als Scheinselbständige im Schweizer Markt agieren und so viel günstiger anbieten können.
Ventilklausel bloss Placebo
Entscheidend sei deshalb, dass die flankierenden Massnahmen «Muskeln und Biss» hätten, sagte Darbellay. Dies habe auch die Anhörung der Sozialpartner und der Vertreter der Grenzkantone Genf und Basel-Stadt gezeigt. Die Anrufung der Ventilklausel erachte die Mehrheit der Angehörten aber als Placebo mit wenig konkreter Wirkung. Einzig der Gewerbeverband habe sich klar dafür ausgesprochen, weil er sich davon eine «erhebliche psychologische Wirkung» verspreche.
Einigkeit habe aber geherrscht, dass es die vom Bundesrat vorgeschlagene Anpassung der flankierenden Massnahmen brauche. Unter anderem soll zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit eine Dokumentationspflicht für ausländische Dienstleistungserbringer sowie diverse Sanktionsmöglichkeiten für fehlbare Anbieter eingeführt werden.
Zwei Tage Frist für Selbständigkeits-Beweis
Können Anbieter nicht beweisen, dass sie tatsächlich selbständig erwerbend sind, sollen sie an der Weiterarbeit gehindert werden. Während der Bundesrat im Gesetz die Frist für die Beibringung der Dokumente offen lässt, will die nationalrätliche WAK nun eine Zweitagesfrist ins Gesetz schreiben. Weiter beantragt die WAK einstimmig, dass die Subunternehmer vertraglich verpflichtet werden müssen, die gesetzlichen Bestimmungen und die allgemeinverbindlich erklärten Gesamt- und Normalarbeitsverträge einzuhalten.
Die von der WAK beantragten Änderungen gehen laut Darbellay nun in die Schwesterkommission des Ständerats. Da der Bundesrat bei der Anpassung der flankierenden Massnahmen rasch vorwärts machen will und die Parteien das Anliegen ebenfalls als dringlich beurteilen, wird die Vorlage nämlich von beiden Wirtschaftskommissionen parallel beraten.
Von der Ständeratskommisson erwartet Darbellay grundsätzlich Zustimmung zur Solidarhaftung. Allenfalls werde noch an der Formulierung gearbeitet. (awp/mc/pg)