Bern – Der Bundesrat will den Passagieren im öffentlichen Verkehr mehr Rechte geben. Bei Ausfällen oder langen Verspätungen sollen Bahn- oder Busunternehmen künftig eine Entschädigung zahlen müssen. Bei Verspätungen ab einer Stunde würde diese 25% des Fahrpreises betragen. Ab zwei Stunden Verspätung wäre eine Entschädigung von 50% fällig. Wer ein GA hat, bekommt keine Entschädigung. Auch Passagiere, die kurze Strecken im Regional- oder Ortsverkehr zurücklegen, gehen leer aus.
Gemäss den Vorschlägen haben die Passagiere auch die Möglichkeit, die Reise gar nicht anzutreten oder zu unterbrechen, wenn diese wegen der Verspätung sinnlos geworden ist. Wer zum Beispiel ein Vorstellungsgespräch in einer anderen Stadt verpasst, kann am Schalter den Fahrpreis zurückverlangen.
Entschädigung statt «Sorry-Bons»
Mit dem vorgeschlagenen Entschädigungssystem würden in der Schweiz künftig ähnliche Regeln gelten wie in der EU. Heute beschränkt sich die Haftung der Transportunternehmen auf Schäden, die unmittelbar durch das Verpassen des letzten Anschlusses entstehen. Einige Verkehrsbetriebe verteilen bei Verspätungen freiwillig so genannte «Sorry-Bons». Einen Anspruch darauf gibt es nicht.
In der Vernehmlassung waren die Pläne des Bundesrats umstritten gewesen. FDP, CVP und SP sowie die Konsumentenorganisationen stimmten der Entschädigungsregelung zu, doch 21 Kantone und die SBB sprachen sich dagegen aus. Auf breite Zustimmung war hingegen die Gleichstellung des internationalen Busverkehrs gestossen. Für diese Linien will der Bundesrat entsprechende Regeln in der Verordnung erlassen.
Diskriminierung auf der Schiene
Die Vorschläge zur Stärkung der Passagierrechte sind Teil der Vorlage Organisation der Bahninfrastruktur (OBI), welche der Bundesrat am Mittwoch verabschiedet hat. Im Zentrum steht der gleichberechtigte Zugang aller Bahnunternehmen zum Schienennetz.
Heute sind die Bahnunternehmen in der Schweiz in der Regel als sogenannte integrierte Bahnen organisiert. Das heisst, dass Infrastruktur und Bahnbetrieb unter demselben Dach angesiedelt sind. Jenen Bahnen, die auf fremden Netzen verkehren, drohen also Nachteile. Die EU möchte daher, dass auch die Schweiz Verkehr und Infrastruktur trennt.
Der Bundesrat hat am Mittwoch bekräftigt, dass er am heutigen System festhält. Der Gefahr der Diskriminierung will er auf anderem Weg begegnen. Insbesondere will er bei der Trassenvergabe für Unabhängigkeit und Transparenz sorgen.
Unabhängige Vergabestelle
Darum soll die Trassenvergabestelle, die heute von den drei grossen Normalspurbahnen SBB, BLS und SOB sowie vom Verband öffentlicher Verkehr (VöV) getragen wird, in eine unabhängige Anstalt des Bundes überführt und mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet werden. Unter anderem soll sie den Fahrplans für den öffentlichen Verkehr in der Schweiz erstellen.
Auch die Systemführerschaft wird neu geregelt. Diese hat heute beispielsweise die SBB beim Zugbeeinflussungssystem ETCS für die Normalspurbahnen oder die Rhätische Bahn bei der Zugsicherung der Meterspurbahnen. Dafür soll nun eine klare gesetzliche Grundlage geschaffen und ein Beschwerdeverfahren definiert werden.
Alle Eisenbahnunternehmen sollen bei der kurz- und mittelfristigen Planung von Investitionen und Fahrplänen ein Mitwirkungsrecht erhalten. Die Schiedskommission im Eisenbahnverkehr würde gemäss den Plänen des Bundesrats in RailCom umbenannt und mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet. Insbesondere soll die Regulierungsbehörde als Beschwerdeinstanz bei der Systemführerschaften und den Mitwirkungsrechten fungieren. (awp/mc/pg)