Pädophilen-Initiative mit über 63% angenommen

Abstimmung

Bern – Einschlägig vorbestrafte Pädosexuelle dürfen nie mehr mit Kindern arbeiten. Dieser Grundsatz steht seit Sonntag in der Bundesverfassung. In der Volksabstimmung ist die Pädophilen-Initiative mit 63,5% angenommen worden.

Rund 1’819’000 Stimmende legten ein Ja in die Urne, 1’045’000 sagten Nein. Damit gehört das zweite Volksbegehren der Organisation Mache Blanche zu den erfolgreichsten Initiativen überhaupt. Auch am Ständemehr gab es nichts zu rütteln: Kein einziger Kanton lehnte die Initiative ab.

Besonders gross war die Zustimmung in der Westschweiz: Der Kanton Wallis nahm die Initiative mit 74,1% an, Genf mit 73,6%, der Kanton Jura mit 71%. Nirgends aber war die Zustimmung grösser als im Tessin, wo 83,1% der Stimmenden Ja sagten.

Am schwächsten war die Zustimmung mit 55,1% Ja in Appenzell Ausserrhoden. Es ist der Heimatkanton des Freisinnigen Nationalrats Andrea Caroni, der das Nein-Komitee angeführt hatte. Basel-Stadt sagte mit 56,2% Ja.

Schwierige Ausgangslage
Personen, die wegen Sexualdelikten an Kindern oder abhängigen Personen verurteilt wurden, sollen nie mehr eine berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit mit Minderjährigen oder Abhängigen ausüben dürfen – unabhängig von den Umständen des Einzelfalls. Trotz dieser im Grunde einfachen und eindeutigen Forderung präsentierte sich Parteien, Parlament und Volk eine schwierige Ausgangslage.

Über das Anliegen, Kinder besser vor Übergriffen zu schützen, war man sich allenthalben einig. Unabhängig von der Initiative hatte der Bundesrat daher einen Entwurf für eine Revision des Strafgesetzbuchs mit diesem Ziel vorgelegt. Diese geht in gewissen Punkten sogar über die Forderungen der Initiative hinaus.

Das Berufs- und Tätigkeitsverbot im Gesetz ist auf alle Täter anwendbar, die an Minderjährigen oder schutzbedürftigen Personen ein Verbrechen oder Vergehen begangen haben. Damit können nicht nur Sexual-, sondern auch Gewaltdelikte geahndet werden. Vorgesehen sind ausserdem Kontakt- oder Rayonverbote, die auch bei Delikten in der Familie oder im Bekanntenkreis Wirkung entfalten.

Der wesentliche Unterschied zur Initiative besteht jedoch darin, dass der Richter bei der Verhängung des Berufsverbots auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere auf die Schwere der Straftat, Rücksicht nehmen kann. Bei schweren Übergriffen muss das Berufsverbot für die Dauer von 10 Jahren ausgesprochen werden, es kann aber auch lebenslänglich sein.

Revision muss revidiert werden
Zunächst als indirekter Gegenvorschlag konzipiert, setzte das Parlament die Vorlage letztes Jahr unabhängig von der Initiative um. Diese Revision tritt Anfang 2015 in Kraft. Die Bestimmungen über die Dauer des Berufsverbots müssen nun aber noch angepasst werden. Die Initiative sieht nämlich kein richterliches Ermessen vor: Verurteilte Täter sollen unabhängig von der Schwere der Straftat lebenslang von jeder Tätigkeit mit Abhängigen oder Schutzbedürftigen ausgeschlossen werden.

Setzt das Parlament die Verfassungsbestimmung wörtlich um, dürfen die Gerichte den Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht mehr beachten. Entgegen rechtsstaatlicher Prinzipien wären sie gezwungen, schematische Urteile fällen. Wie das Bundesgericht bei einem Konflikt mit der EMRK vorgehen würde, ist allerdings offen. Möglich ist, dass die Lausanner Richter einem Umsetzungsgesetz die Anwendung versagen.

In der Pädophilen-Falle
Diesen Konflikt haben die Initianten mit ihrem Anliegen in Kauf genommen. Ihrer Ansicht nach sind Pädophile ohnehin nicht heilbar, das Berufs- und Tätigkeitsverbot sei darum in jedem Fall verhältnismässig. Das Ermessen würde von «Kuschel-Richtern» zu oft zu Gunsten der Täter ausgelegt, sind die Befürworter überzeugt. Sie warfen den Gegnern daher auch vor, das Wohl von Pädophilen über jenes der Kinder zu stellen.

Obwohl die Initiative von Marche Blanche lanciert worden war, wurde die Kampagne stark von der SVP, insbesondere von Nationalrätin Natalie Rickli und Nationalrat Gregor Rutz, geprägt. Andrea Caroni bot den beiden Zürchern Paroli: Er hatte im Alleingang ein Gegner-Komitee auf die Beine gestellt, nachdem keine Partei das politische Risiko in Kauf nehmen wollte.

Diesem gehörten neben SP und Grünen Exponenten von FDP, CVP und GLP an. Die Mitteparteien waren aber auch im Pro-Komitee vertreten. Schon in der Abstimmung im Nationalrat waren ihre Fraktionen gespalten gewesen.

Auch die Parlamentskammern waren sich nicht einig geworden. Der Ständerat lehnte die Initiative ab, der Nationalrat stimmte ihr zu. Vor allem wegen rechtsstaatlicher Bedenken engagierte sich Justizministerin Simonetta Sommaruga trotz diesem Patt gegen das Anliegen. (awp/mc/ps)

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