Bern – Innenminister Alain Berset präsidiert im kommenden Jahr zum zweiten Mal den Bundesrat. Er erhielt am Mittwoch allerdings lediglich 140 Stimmen. Zahlreiche Ratsmitglieder legten leer ein oder gaben ihre Stimmen anderen.
Alle Fraktionen hatten die Kandidatur von Berset unterstützt, wie Nationalratspräsident Martin Candinas (Mitte/GR) vor der Wahl bekanntgab. Dennoch wurden 46 der 232 eingegangenen Wahlzettel leer eingelegt, und hinzu kamen fünf ungültige.
Stimmen für Amherd und Keller-Sutter
16 Stimmen gingen an Bundesrätin Viola Amherd. Bundesrätin Karin Keller-Sutter erhielt zehn Stimmen, und 15 Stimmen gingen an verschiedene Personen. Das absolute Mehr lag bei 91 Stimmen.
Neue Vize-Bundespräsidentin ist die Mitte-Bundesrätin Viola Amherd. Sie erhielt 207 von 223 gültigen Stimmen. Amherd wird voraussichtlich im Jahr 2024 den Bundesrat präsidieren.
Berset sagte nach der Wahl vor der Vereinigten Bundesversammlung, er sehe die Schweiz vor grossen Aufgaben – im Kontext mehrerer Krisen. Dank ihrer Stabilität sei sie aber gut gerüstet.
Die Schweiz habe ihr Potenzial noch nicht ausgeschöpft, mahnte Berset. Sie müsse ihre Gerechtigkeitslücken angehen. Der neue Bundespräsident verwies insbesondere auf die Gleichstellung der Geschlechter, die Inklusion und die Anliegen der jungen Generation.
Als Herausforderung nannte Berset unter anderem den Krieg in der Ukraine. Auch die Klima- und die Energiekrise müssten angegangen werden. Er wünsche der Schweiz für das kommende Jahr exzellente Debatten, geprägt von Respekt, sagte der Neugewählte.
Unterdurchschnittliches Ergebnis
Bersets erhaltene 140 Stimmen sind verglichen mit den Vorjahren unterdurchschnittlich. Ignazio Cassis (FDP), Bundespräsident im laufenden Jahr, war Ende 2021 mit 156 von 197 gültigen Stimmen gewählt worden. Sein Vorgänger Guy Parmelin (SVP) hatte vor zwei Jahren 188 von 202 gültigen Stimmen erhalten.
Das bisher schlechteste Resultat erzielte 2011 die Genfer SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey mit 106 Stimmen. Das beste Resultat in den letzten Jahrzehnten hatte SVP-Bundesrat Ueli Maurer 2018 mit 201 Stimmen. Und Berset hatte seine erste Wahl zum Bundespräsidenten 2018 mit 190 von 210 gültigen Stimmen geschafft.
Berset ist nach den Mitte-Vertretern Jean-Marie Musy und Joseph Deiss der dritte Freiburger in diesem Amt. Wie Berset war auch Musy zwei Mal Bundespräsident, 1925 und 1939. Bersets Präsidialjahr ist also das fünfte, in dem ein Freiburger den Regierungsvorsitz hat.
Im Bundesrat sitzt der 50-Jährige seit 2011, als Nachfolger von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey. Genauso lange steht er dem Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) vor.
Während Pandemie im Fokus
Dort ist Berset namentlich für die Gesundheits- und Sozialpolitik zuständig. Zu seinen wichtigsten Themen gehören die Altersvorsorge und die Gesundheitskosten. Die AHV-Revision mit dem Rentenalter 65 für die Frauen wurde im September an der Urne angenommen. Noch im Parlament hängig ist die umstrittene Reform der beruflichen Vorsorge.
Als das neue Coronavirus und die Schutzmassnahmen gegen Covid-19 die öffentliche Diskussion beherrschte, stand Gesundheitsminister Alain Berset im Fokus. Auch wenn er sich teilweise gehässige Kritik anhören musste, stützte die Mehrheit in zwei Abstimmungen über das Covid-19-Gesetz den Kurs des Bundesrates.
Im Herbst musste Berset dann die Rechnung präsentieren: Die Prämien der Krankenkassen steigen 2023 um 6,6 Prozent. Grund waren höhere Gesundheitskosten durch Covid-19 und Nachholeffekte, weil wegen der Pandemie Eingriffe verschoben werden mussten. Die steigenden Gesundheitskosten sind ein Dauerbrenner im EDI. (awp/mc/pg)