Personenfreizügigkeit: BR legt Kontingent für EU-8-Staaten fest
Justizministerin Simonetta Sommaruga.
Bern – Eine Woche nach dem Entscheid, die Ventilklausel anzurufen, hat der Bundesrat am Mittwoch in einer Verordnungsänderung die Details festgelegt, wie der freie Personenverkehr mit der EU genau eingeschränkt werden soll. Demnach haben vom 1. Mai 2012 bis Ende April 2013 nur noch 2180 Personen aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn Anrecht auf eine B-Aufenthaltsbewilligung.
In den letzten zwölf Monaten hatten 6568 Personen aus diesen Ländern einen B-Ausweis erhalten. Damit waren nach Ansicht des Bundesrats die Bedingungen erfüllt, die Ventilklausel anzurufen und die Zuwanderung aus den acht neuen EU-Mitgliedsstaaten für mindestens ein Jahr wieder einzuschränken.
Neuer Entscheid spätestens im April 2013
Vor Mai 2013 will der Bundesrat entscheiden, ob er die Kontingente um ein Jahr verlängern will. Spätestens ab Mai 2014 gilt aber für die EU-8 dann die volle Personenfreizügigkeit. Eingeschränkt werden könnte der freie Personenverkehr im Rahmen der Verträge dann nur noch gegenüber den zwei jüngsten EU-Staaten Rumänien und Bulgarien. Mit seinem Entscheid ging der Bundesrat auf Konfrontationskurs mit der EU. Diese ist der Meinung, dass die Schweiz neue EU-Mitgliedsstaaten nicht anders behandeln darf als alte. Die Bedingungen für die Anrufung der Ventilklausel seien damit nicht erfüllt.
Interpretationssache
Gemäss dem Vertrag aus dem Jahr 2004 kann sich die Schweiz auf die Ventilklausel berufen und den freien Personenverkehr einschränken, wenn die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen in einem Jahr mindestens 10 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre liegt. Es gibt keine Instanz, die entscheiden kann, wie diese Vertragsbestimmung genau zu interpretieren ist. Während für den Bundesrat die Bedingungen für Personen aus den EU-8-Staaten mit B-Aufenthaltsbewilligungen erfüllt sind, verneinte er dies für Kurzaufenthalter. L-Ausweise können damit weiterhin unbeschränkt erteilt werden.
Beruhigungspille
Der Bundesrat räumte vor einer Woche ein, dass mit der Kontingentierung die mit der Zuwanderung verbundenen Probleme nicht gelöst werden und es sich vor allem um ein Signal an die Bevölkerung handelt. Effektiv kann dank der Ventilklausel nur die Zuwanderung von rund 4000 Personen unterbunden werden. Dies entspricht 6 Prozent aller im letzten Jahr aus der EU zugezogenen Personen. Auch in der Schweiz stiess der Bundesratsentscheid auf Kritik. Insbesondere der Bauernverband war unzufrieden, da so die Hürde zur Rekrutierung von billigen Arbeitskräften aus den EU-Ostländern erhöht wird.
Kritik auch in der Schweiz
Der Arbeitgeberverband und der Wirtschaftsdachverband economiesuisse zeigten zwar Verständnis für das Vorgehen. Es löse aber keines der Probleme, die – zum Teil fälschlicherweise – der Personenfreizügigkeit angelastet würden. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund und die SP kritisierten, dass die Ventilklausel an den Problemen mit Lohndumping nichts ändere. Dafür brauche es griffigere flankierende Massnahmen. Begrüsst wurde der Entscheid vom Gewerbeverband sowie von den bürgerlichen Parteien SVP, CVP und FDP. Letztere zeigte sich unzufrieden, dass der Bundesrat die Kontingente nicht gleich für zwei Jahre beschloss. (awp/mc/ps)