Zürich – Obwohl die Zahl der betagten Menschen stark wächst, nahm die Bettenauslastung der Schweizer Pflegeheime in den letzten Jahren ab. Die Ökonomen der Credit Suisse sehen den Grund dafür in erster Linie im Strukturwandel in der Alterspflege. Immer mehr Kantone setzen verstärkt auf die ambulante Pflege, deren Angebot in den letzten Jahren stark ausgebaut wurde. Momentan kann zusätzliches Bettenangebot besonders in Regionen mit einer hohen Heimdichte nicht vollständig absorbiert werden. Es ist davon auszugehen, dass gewisse Deutschschweizer Regionen mittelfristig keine oder nur sehr wenige zusätzlichen Pflegebetten benötigen. Ein flächendeckendes und anhaltendes Überangebot erwarten die Ökonomen der Credit Suisse indessen nicht. Sie gehen nach wie vor davon aus, dass langfristig der Bettenbedarf in den meisten Gegenden der Schweiz steigt. Die Nachfrage nach ambulanten Angeboten – wie z.B. das betreute Wohnen – dürfte jedoch stärker zunehmen.
Die Alterspflege ist eine Wachstumsbranche sondergleichen. Heute leben in der Schweiz mehr als 430’000 Betagte, die 80 Jahre oder älter sind; 2040 werden es rund 870’000 sein. Obwohl die Bevölkerung tendenziell länger gesund bleibt, gehen die Ökonomen der Credit Suisse in der heute veröffentlichten Analyse zum Schweizer Pflegemarkt davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2040 um 60 % ansteigt.
Auslastung der Pflegeheime nimmt ab
Trotz diesen Aussichten ist der Belegungsgrad der Langzeitbetten in Schweizer Pflegeheimen zwischen 2012 und 2016 von 96 % auf 94 % gesunken. In einzelnen Regionen lag die Auslastung der Heime 2016 gar unter 90 %, wie die Berechnungen der Credit Suisse basierend auf den Daten des Bundesamts für Gesundheit zeigen. In 15 von 106 untersuchten Regionen nahm die Belegung um mehr als fünf Prozentpunkte ab. Auch wenn der Zusammenhang statistisch nur schwer zu messen ist, sehen die Ökonomen der Credit Suisse den Grund für die sinkende Bettenauslastung in erster Linie im Strukturwandel der Alterspflege. Im Rahmen der Strategie «ambulant mit stationär» nahm das ambulante und intermediäre Pflegeangebot in den letzten Jahren vielerorts rasant zu. Dieser – grundsätzlich begrüssenswerte – Strukturwandel hat unter anderem zur Folge, dass besonders in Regionen mit einer hohen Bettendichte neu geschaffene Pflegeplätze momentan nicht vollständig absorbiert werden. Vor allem in der Deutschschweiz befinden sich in den Heimen oft viele nicht oder nur leicht pflegebedürftige Betagte, für welche immer mehr alternative Angebote zur Verfügung stehen. In den Westschweizer Heimen wohnen dagegen bereits heute fast nur noch mittel- bis schwer pflegebedürftige Klienten. Die Verlagerung in die ambulante Alterspflege ist dort entsprechend weit fortgeschritten, die Bettendichte tief und als Folge die Heimbelegung stabil sehr hoch.
Gefahr von Überkapazitäten punktuell vorhanden aber nicht flächendeckend
Trotz diesen Entwicklungen rechnen die Ökonomen der Credit Suisse mittelfristig nicht flächendeckend mit Überkapazitäten und anhaltenden Leerständen. In einzelnen Regionen herrscht zwar durchaus ein gewisses Risiko von Überkapazitäten, da sie gleichzeitig eine unterdurchschnittliche Bettenauslastung vorweisen und aufgrund der zunehmenden Verlagerung in den ambulanten Bereich bis 2025 kein Zusatzbedarf an Pflegebetten zu erwarten ist. Solche Regionen – wie z.B. die Stadt Zürich – befinden sich ausschliesslich in der Deutschschweiz. In der Westschweiz und im Tessin ist neben der heutigen Bettenauslastung auch der erwartete Zusatzbedarf an Pflegeplätzen flächendeckend hoch. Die Ökonomen der Credit Suisse gehen für die lange Frist – d.h. bis 2040 – jedoch nach wie vor davon aus, dass auch in den meisten Deutschschweizer Regionen zusätzliche Betten nötig sein werden. In diesem Zeitraum dürfte die Zahl der Pflegebedürftigen aufgrund der demografischen Verwerfungen derart stark steigen, dass auch eine konsequente Aufwertung der ambulanten und intermediären Pflege diesen Effekt nicht vollständig absorbieren kann. Schweizweit rechnen die Ökonomen selbst in einem zurückhaltenden Prognoseszenario mit einem Nettozusatzbedarf von knapp 30’000 Betten.
Bedarf an betreutem Wohnen steigt stärker
In den obigen Szenarien gehen die Ökonomen der Credit Suisse analog zu vielen kantonalen Planern davon aus, dass sich der Anteil leicht pflegebedürftiger Klienten in den Heimen in den kommenden Jahren stark reduzieren wird. Dies ist jedoch nur dann wünschenswert und möglich, wenn gleichzeitig genügend ambulantes und intermediäres Pflegeangebot bereitgestellt wird. Dazu gehören unter anderem die Spitex und betreute Alterswohnungen. In einer ersten Schätzung gehen die Ökonomen der Credit Suisse davon aus, dass bis 2040 rund 25’000 bis 45’000 zusätzliche betreute Alterswohnungen bereit gestellt werden müssen – was mehr ist, als der geschätzte Mehrbedarf an Pflegebetten.
Die Kurzanalyse «Pflegeheime: Leere Betten im Wachstumsmarkt» ist im Internet in Deutsch, Französisch und Englisch verfügbar unter:
http://publications.credit-suisse.com/index.cfm/publikationen-shop/schweizer-wirtschaft