Presse erinnert sich nach Ja zur SVP-Initiative an 1992

Presse erinnert sich nach Ja zur SVP-Initiative an 1992

Die Schweiz hat abgestimmt – wohin der Weg nun führt, ist ungewiss.

Bern – Die Schweizer Tageszeitungen bemühen nach dem Ja zur SVP-Zuwanderungsinitiative ein breites Stimmungsspektrum. Dieses reicht vom GAU bis zum Sieg für die Schweiz. Zwei Aspekte dominieren: Die ungewissen Folgen und die historische Bedeutung des Volksentscheids.

Der verbale Brückenschlag zum EWR-Nein im Jahre 1992 ist allgegenwärtig. «Das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative stellt eine Zäsur dar, die vergleichbar ist mit jener vom 6. Dezember 1992», schreibt die «Neue Zürcher Zeitung».

«Von Gutem aber wird es für die hiesige Wirtschaft und damit für den Wohlstand in diesem Land sicher nicht sein.» Denn das Freizügigkeitsabkommen mit der EU sei in der vorliegenden Form nicht mehr zulässig, das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU nun völlig offen, die Schweizer Karten schlecht.

Die «Basler Zeitung» sieht das anders: Am 9. Februar 2014 habe «die ganze Schweiz» gewonnen. Während die SVP durchs Band als Siegerin gewürdigt wird, macht sich der Kommentator auf die Suche nach Verlierern. Den Wirtschaftsverbänden und dem Arbeitgeberverband sei «vermutlich die härteste Niederlage seit Menschengedenken beigebracht worden». Zweiter «krachender Verlierer» sei der Bundesrat. «Wo leben diese Leute?», fragt die BaZ.

Auch das «St. Galler Tagblatt» ortet in einer Trägheit der politischen Elite einen Grund für das Verdikt. Diese habe «mit einer gewissen Nonchalance tatsächlich negative Auswirkungen der konsequenten Personenfreizügigkeit auf die leichte Schulter genommen und kleingeredet». «Die populistisch formulierte Initiative wurde lange nicht wirklich ernst genommen.»

«Gegen die Bevölkerung lässt sich langfristig keine Politik betreiben», kommentiert der «Blick». Das gelte auch für die EU. Der beste Trumpf der Schweiz bei Neuverhandlungen sei dieser Urnengang.

Minderwertigkeitskomplex
Als «rational fast nicht erklärbar» erachtet indes der Kommentator der «Südostschweiz» das Ja zur Initiative. Er geht mit dem nationalen Selbstverständnis hart ins Gericht: «Dieses ist eine Mischung aus Selbstüberhöhung und Minderwertigkeitskomplexen.» Die Folge seien diffuse Verlustängste, die von geschickten Politikern aus dem rechtsbürgerlichen Lager genutzt würden.

Weder auf Fremdenfeindlichkeit noch auf Abschottungsdenken zurückführen will «Der Bund» das Resultat. Landfrass, Lohndruck, Konkurrenzkampf, hohe Mieten: Die hohe Zuwanderung löse «ein Gefühl des Kontrollverlusts aus, was in der direkten Demokratie nicht folgenlos bleibt».

Dass ausgerechnet die am wenigsten vom «Dichtestress» betroffenen Landbewohner der Initiative zum Sieg verhalfen, fällt indes der «Aargauer Zeitung» auf: «Einen so deutlichen Graben zwischen Stadt und Land sowie zwischen Deutsch- und Westschweiz gab es schon lange nicht mehr.» Das Resultat zeuge von hoher Risikobereitschaft. Immerhin drohe die Kündigung der bilateralen Verträge: «Das wäre der GAU für die Schweiz.»

Risikobereite Schweiz
Risiko steht auch im Kommentartitel der «Neuen Luzerner Zeitung». «Die Mehrheit wünscht simpel mehr Augenmass bei der Einwanderung, und sie nimmt dafür Risiken in Kauf.» Denn unter der geschaffenen Ungewissheit dürfte die Investitionen leiden, was direkt die Bauwirtschaft treffe. Doch es sei denkbar, dass die Schweiz mit dem Ja «in Europa sogar Massstäbe setzt».

Den Europa-Fokus legt der «Tages-Anzeiger» und nennt das Resultat «eine Teilabsage an die Globalisierung und die europäische Integration». Die Probleme von Zersiedelung, Lohn- und Migrationsdruck seien real. «Aber sie sind nicht entlang der ethnischen und nationalen Grenzen zu lösen, wie dies der Mythos vom Sonderfall Schweiz glauben machen will.»

Die Volksmehrheit sei einer Partei gefolgt, die «nun so etwas wie die europäische Speerspitze jener xenokritischen und gar xenophoben Bewegungen werden könnte, die es in allen EU-Staaten gibt.»

Schwierige Verhandlungen mit der EU prophezeien nun die Westschweizer Zeitungen. Eine «schallende Ohrfeige für Europa» nennt etwa die «Tribune de Genève» die Rückkehr der Schweiz zur Kontingentierung. Als Reaktion auf diese «Verschlechterung» seien nun «Genie und Pragmatismus» gefragt. Die Bedürfnisse von Kantonen und Unternehmen dürften nicht von Kontingenten eingeschränkt werden. (awp/mc/ps)

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