procure.ch: Marktausblick #3 – Schweizer Wirtschaft im Erholungsboom
Von Claude Maurer
Im Zuge der abflauenden Pandemie erholt sich die hiesige Wirtschaft rasant. Wir erwarten für 2021 ein Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 3,5 Prozent. Der Aufschwung wird aber an Dynamik verlieren, weshalb wir für 2022 von einer Abschwächung des BIP-Wachstums auf 2,0 Prozent ausgehen.
Die Wirtschaftsleistung nahm gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) im 1. Quartal 2021 gegenüber dem Vorquartal ab, wenn auch angesichts der Stärke des Infektionsgeschehens nur leicht (–0,5 Prozent). Letztes hat mehrere Gründe:
Erstens profitierte die Industrie direkt oder indirekt von der frühen Erholung der Nachfrage aus Asien, und die Grenzen blieben für den Handel offen.
Zweitens ging die Mobilität der Bevölkerung weniger stark zurück als im Frühjahr 2020, und die Wirtschaftsleistung reagierte weniger stark auf den Mobilitätsrückgang – offenbar waren die Menschen geübter im Umgang mit dem Virus.
Drittens waren die Einschränkungen weniger einschneidend und die Kinderbetreuung war sichergestellt.
Dynamische Erholung im 2. Halbjahr
Mit der Wiedereröffnung weiter Teile der Wirtschaft hat die Erholung quasi automatisch eingesetzt, zumal ein Grossteil der Haushalte auch in der zweiten Welle einen (zusätzlichen) Sparüberschuss anhäufte, der derzeit mehrheitlich wieder ausgegeben wird. Konkret gehen wir davon aus, dass sich der Privatkonsum mit gewissen Ausnahmen, wie etwa dem Eventbereich oder Teilen des Gastgewerbes, bis im Frühherbst wieder normalisieren wird.
Derweil dauert der Erholungsboom in der Industrie an. Der Einkaufsmanagerindex (PMI) für die Industrie, der die Nachfrage in der Industrie widerspiegelt, liegt derzeit auf dem höchsten Stand seit Beginn der Erhebung im Jahr 1995.
Insgesamt dürfte das Bruttoinlandprodukt (BIP) dieses Jahr um 3,5 Prozent zulegen und damit den Einbruch von 2020 (–2,6 Prozent) mehr als kompensieren.
Schwächere Wachstumsdynamik
Für 2022 rechnen wir indes mit einer Abschwächung der Wachstumsdynamik auf 2,0 Prozent. Die Nachholeffekte dürften zunehmend entfallen, zumal gemäss unseren Schätzungen rund 30 Prozent der Ersparnisse aus den zwei Lockdowns zu «Vorsichts-ersparnissen» werden sollten (was einem Anstieg der Sparquote um beinahe einen Prozentpunkt entspricht).
Auch die Nachfrage nach Gütern wird sich in den nächsten Monaten etwas abschwächen, wenn den Menschen weltweit dank den Öffnungen wieder andere Konsummöglichkeiten zugänglich werden. Bereits zeigt sich denn auch eine gewisse Skepsis der Unternehmen hinsichtlich der Dauer des Erholungsbooms: Trotz Knappheitserscheinungen in der Industrie stellen sie nämlich nur zurückhaltend neues Personal ein.
Inflation dürfte vorübergehend steigen
Die Teuerung in der Schweiz wird in den kommenden Monaten in Einklang mit der globalen Entwicklung steigen. Die Inflationsrate dürfte hierzulande zum Jahresende rund 1,0 Prozent betragen – was aber immer noch deutlich tiefer wäre als in den meisten anderen Volkswirtschaften.
Preiserhöhungen dürften vor allem bei den Freizeitaktivitäten auftreten, und zwar insbesondere bei Pauschalreisen. Aber auch die Preise für Hotels, Restaurants und Haushaltswaren werden wohl steigen.
Für das Jahr 2021 erwarten wir eine durchschnittliche Inflationsrate von 0,5 Prozent, auf die 2022 ein abermaliger allgemeiner Preisanstieg von 0,5 Prozent folgen sollte.
Keine Änderung der Geldpolitik
Gemäss unseren Schätzungen hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) in den vergangenen Monaten in geringem Umfang Fremdwährungsreserven verkauft. In unseren Augen will die Nationalbank mit diesen Verkäufen aber nicht die Geldmenge verknappen oder gar den Franken stärken, sondern sie hat lediglich den zuletzt leicht schwächeren Franken genutzt, um zu «testen», wie der Markt auf Devisenverkäufe reagiert.
Wir gehen entsprechend unverändert davon aus, dass die SNB auf ein etwaiges Erstarken des Frankens – ein Szenario, von dem wir zwar nicht ausgehen, das aber durchaus möglich ist – mit erneuten Fremdwährungskäufen reagieren würde und dass eine Erhöhung des Leitzinses hierzulande bis mindestens Ende 2022 kein Thema ist.
Bezüglich Wechselkurs erwarten wir ebenfalls nur wenig Bewegung: In der Tendenz sollte sich der Franken jedoch leicht abschwächen, insbesondere gegenüber dem Euro. (procure.ch/mc/ps)
Autor:
Der ehemalige Profisportler Claude Maurer (er hat die Schweiz an den Olympischen Spielen in Sydney im 49er-Skiff vertreten) ist Chefökonom Schweiz bei der Credit Suisse.