Frauenfeld – Am ersten Prozesstag in Frauenfeld gegen Walter Oberhänsli, den Chef der Versandapotheke Zur Rose, haben die Kläger ihre Plädoyers gehalten. Im Vergleich zur Privatklägerschaft übte sich die Staatsanwalt in Zurückhaltung und verwies auf die komplexe Beweiserhebung.
Der Fall wird vor dem Bezirksgericht Frauenfeld verhandelt. Der schweizerische Apothekerverband PharmaSuisse hatte 2012 Strafanzeige eingereicht, weil die Versandapotheke zwischen 2011 und 2015 beim Onlineversand rezeptfreier Medikamente ihre Sorgfaltspflicht verletzt habe.
Zur Rose habe sich mit ihrer unlauteren Geschäftspraxis einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Konkret lautet der Vorwurf, beim Versand der rezeptfreien Medikamente habe kein ausreichender Kontakt zwischen medizinischem Fachpersonal und Medikamentenbezügern stattgefunden, womit für Zur Rose gegenüber Offizinapotheken Einsparungen resultiert hätten.
Gemäss einem Urteil des Bundesgerichts von 2015 ist der Onlineversand rezeptfreier Medikamente ohne ärztliches Rezept als Ersatz für direkten Kontakt zwischen medizinischem Fachpersonal und Patienten unzulässig.
Bis zum Bundesgerichtsurteil 2015 hat Zur Rose seinen Versandhandel rezeptfreier Medikamente aufrechterhalten, obwohl sie allerspätestens seit 2012 von der potentiellen Unrechtmässigkeit ihrer Praxis hätte ausgehen können.
PharmaSuisse und Staatsanwalt uneins
Die Thurgauer Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Zur Rose möglicherweise davon ausgegangen sei, sie handle rechtens und das Bundesgericht würde diese Haltung dereinst stützen. Es sei also nicht zwingend von einem eventualvorsätzlichen Vorgehen der Versandapotheke auszugehen.
Gemäss PharmaSuisse habe Zur Rose aber aktenkundig nach der Devise «quick and dirty» gehandelt, also mit einer «Amazon- und Nespressomentalität» und stets im Wissen, dass ihr Vorgehen rechtswidrig sei. Mit aggressiver Werbung habe Zur Rose dem gesellschaftlichen Trend, übermässig und unnötig Medikamente zu konsumieren, Vorschub geleistet.
Der zweite Anklagepunkt steht im Zusammenhang mit Entschädigungen, die Zur Rose Ärzten ausbezahlte, die Medikamente via eine Firmensoftware bestellt haben. Strittig ist vor allem, welche ärztlichen Aufwände tatsächlich als administrative Zusatzaufwände einzustufen seien, oder ob es sich um übliche ärztliche Aufwände handle, die bereits über TARMED abgegolten sind.
Zur Rose hat in den Jahren 2010 bis 2014 an rund 6400 Ärzte 8 Millionen Franken an Vergütungen ausbezahlt. Mit ihrem Vergütungssystemen hat die Versandapotheke schon in den Nullerjahren diverse kantonale Gerichte und auch Bundesbehörden beschäftigt.
Die Umsätze aus den Onlinemedikamentenverkäufen zwischen 2011 und 2015 betragen laut Schätzungen der Staatsanwaltschaft rund 7 Millionen Franken, verteilt auf 143’000 Bestellungen.
Schwierige Beweiserhebung
Die Beweiserhebung stellte die Staatsanwaltschaft für erhebliche Ressourcenfragen. Um dem Angeklagten genau nachweisen zu können, dass er in beiden Anklagepunkten eventualvorsätzlich und nicht fahrlässig gehandelt hat, hätte man Tausende von Bestellvorgängen sowie Transaktionen an Ärzte detailliert untersuchen müssen.
Zusätzlich wäre man mit Bestimmungen zum Patientendatenschutz in Konflikt geraten. Der Aufwand für die Untersuchungsbehörden wäre in dieser Sache nicht zu rechtfertigen gewesen, sagte der Staatsanwalt.
Er kritisierte die Haltung der Swissmedic, die jeweils immer auf eine tiefgreifende Untersuchung der Sache drängte. Allerdings trat sie erst 2015 als zweite Privatklägerin auf, was sie damit erklärte, dass man die Klärung der Rechtsunsicherheiten durch das Bundesgericht habe abwarten wollen. Damit habe man praktisch dem Angeklagten in die Hände gespielt, indem man zugab, dass eben nicht schon vor 2015 klar war, dass Zur Rose widerrechtlich gewirtschaftet hatte.
Der Prozess wird am 12. Januar fortgesetzt. Die Staatsanwaltschaft wird Schuldsprüche fordern, hat am Dienstag aber noch keine Strafanträge gestellt, weil das Verfahren zweigeteilt wurde. Wie die Verteidigung ankündigte, wird sie auf vollständigen Freispruch plädieren. (awp/mc/ps)