Zürich – Der Initiativtext steht: Eine Mikrosteuer auf Finanzflüssen soll als Erstes die unsoziale und komplizierte Mehrwertsteuer ersetzen.
Von Urs P. Gasche, Infosperber
Der Initiativtext ist in drei Landessprachen endgültig bereinigt. Hinter der Initiative stehen keine grossen und finanzstarken Lobbys, sondern vier Akademiker, die sich seit einigen Jahren mit einer einfach und automatisch zu erfassenden Steuer auf dem ganzen bargeldlosen Zahlungsverkehr beschäftigen. Im Unterschied zu dieser Mikrosteuer erfasst die seit längerem diskutierte Kapitaltransaktionssteuer oder «Tobin-Tax» lediglich die Börsengeschäfte.
Obwohl der vorgeschlagene Steuersatz im Bereich von kaum bemerkbaren Promillen liegt, sind die Einnahmen nach einer schrittweisen Einführung gross genug, um zuerst die Mehrwertsteuer und dann auch die Stempelsteuer und die Bundessteuer komplett abzuschaffen.
0,03 Prozent Mikrosteuer könnte 60 Milliarden Ertrag bringen
Ein Mikrosteuersatz von 0,3 Promille oder 0,03 Prozent auf jeder elektronischen Belastung und jeder Gutschrift bringt nach sorgfältigen Berechnungen der Initianten einen Ertrag von 60 Milliarden Franken. Damit sind die 23 Milliarden der Mehrwertsteuer, die 22 Milliarden der Bundessteuer und die 2 Milliarden der Stempelsteuer zu ersetzen. Überschüsse der Mikrosteuer würden an die Kantone und Gemeinden gehen.
Zur Kasse gebeten werden in erster Linie Spekulationsgeschäfte mit Aktien, Wertschriftenderivaten und Devisen in astronomischer Höhe, die statt der Realwirtschaft zu dienen vor allem Risiken für das gesamte Finanzsystem verursachen. Bei den Konsumenten werden Transaktionen mit Kreditkarte, einer Postcard oder Zahlungen auf ein Bank- oder Versicherungskonto erfasst.
«Erhebliche Entlastung für Unternehmen und Haushalte»
Die Überlegung der Initianten: Anstatt wie heute Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger direkt und indirekt mit insgesamt 30 Prozent Steuern und Abgaben zu belasten, würde bei einem Zahlungsverkehr von 100’000 Milliarden Franken rund 1 Promille Mikrosteuer pro Belastung und pro Gutschrift sogar genügen, um nicht nur den Finanzbedarf des Bundes, sondern auch denjenigen der Kantone und Gemeinden sowie der öffentlichen Sozialversicherungen abzudecken. Dieser gesamte Bedarf erreicht aktuell 230 Milliarden Franken.
«Mit der Mikrosteuer leistet auch die Finanzwirtschaft automatisch einen Steuerbeitrag, was Unternehmen und private Haushalte erheblich entlastet», erklärt der Zürcher Vermögensverwalter Felix Bolliger auf der Webseite der Initiative. Neben Bolliger sind Marc Chesney, Finanzprofessor an der Universität Zürich, Anton Gunzinger, Professor an der ETH sowie Oswald Sigg, ehemaliger Bundesratssprecher und Vizekanzler der Eidgenossenschaft, im Vorstand des Vereins Mikrosteuer, der spätestens in einem Jahr mit dem Sammeln von Unterschriften beginnen will. Noch fehlen dem Verein die Finanzen dazu.
Vorteile gegenüber der Mehrwertsteuer
Einige Vorteile der Mikrosteuer im Vergleich zur Mehrwertsteuer liegen auf der Hand:
- Die Mikrosteuer ist einfach zu verstehen. In einer Demokratie sollte es nur transparente Steuern geben, deren Funktionieren alle verstehen.
- Die Mikrosteuer ist einfach, automatisiert pro Gutschrift und Belastung zu erheben, weil der elektronische Zahlungsverkehr bereits vollständig erfasst ist. Die ganze Bürokratie mit der mehrstufigen Mehrwertsteuer fällt weg. Unternehmen erhalten in der Schweiz einen finanziellen und administrativen Standortvorteil. Für Start-up Unternehmen wäre die Mikrosteuer ein Befreiungsschlag.
- Die Mikrosteuer macht transparent, wie gross die Finanzströme und damit die Risiken sind. Transparenz ist erforderlich, weil wir im Krisenfall mit unseren Steuergeldern für das Finanzsystem haften.
- Die weit verbreitete Steuerhinterziehung und die Steuerumgehungen sind nur noch sehr beschränkt möglich. Mit Steueroptimierungen in Form von Trusts und Gewinnverschiebungen wäre es weitgehend vorbei.
- Teure, für die Realwirtschaft unproduktive Steueranwälte würden arbeitslos.
- Die Mikrosteuer ist ideologiefrei und sozialer.
- Die Mikrosteuer ist nicht «inquisitorisch», weil sie automatisiert elektronisch erfasst wird.
Ein Plädoyer des Mitinitiators Felix Bolligers für eine Mikrosteuer mit Zahlen und Fakten ist hier nachzulesen.
Abwanderung ins Ausland
Auf den zu erwartenden Einwand, die Schweiz könne eine solche radikale Steuerreform nicht im Alleingang einführen, räumen die Initianten zwar ein, dass der hochspekulative Mikrosekundenhandel an der Börse ins Ausland abwandern könnte. Doch auf dieses «Finanzcasino» könne die Schweiz ohne weitere Nachteile verzichten, meint Finanzprofessor Chesney. Eine Debatte über die Mikrosteuer in der Schweiz würde dem Ausland vor Augen führen, welche enorme, bis anhin unentdeckte Steuerquelle «schmerzlos» angezapft werden kann: «Mit der Einführung der automatischen Mikrosteuer kann die Schweiz eine Vorreiterrolle übernehmen.»
Ein einfaches und transparentes Steuersystem ist ein urliberales Anliegen. In Frankreich könnten sich heute auch die Gelbwesten und in Deutschland Grüne oder Linke für eine Mikrosteuer einsetzen. In beiden Ländern würde nach Berechnungen des Finanzprofessors ein bescheidener Steuersatz von 0,25 Prozent «mehr als genügen, um die Einnahmen sämtlicher heutigen Steuern in diesen Ländern zu übertreffen». Dies unter der konservativen Annahme, dass die Summe des jährlichen Zahlungsverkehrs in Deutschland und in Frankreich «nur» 100-mal so gross ist wie das jeweilige Bruttoinlandprodukt und nicht 150-mal wie in der Schweiz. (Infosperber/mc/hfu)
Der «Verein Mikrosteuer», hinter dem keine finanzkräftigen Lobbys stehen, will die Sammlung der Unterschriften und das Lancieren der Initiative mit Spenden finanzieren und hat dazu ein Online-Spendentool eingerichtet.
2012 belief sich der Zahlungsverkehr allein schon innerhalb des Swiss Interbank Clearing SIC auf insgesamt 95’000 Milliarden Franken, inklusive der Giroüberträge auf Konten, welche Finanzinstitute bei der Schweizerischen Nationalbank unterhalten … Hinzu kommen ein hiesiger Devisenhandel von über 50’000 Milliarden Franken (BIZ-Statistik 2013) sowie sämtliche Transaktionen, welche die Finanzinstitute inhouse und über Korrespondenzbanken abwickeln. Eine offizielle Statistik liegt für diese Bereiche nicht vor. Das Volumen dürfte hier in der Grössenordnung von 35‘000 Milliarden Franken liegen.