Bern – Die Agrarpolitik ab dem Jahr 2022 liegt auf Eis. Das Parlament will, bevor es die Vorlage berät, vom Bundesrat zusätzliche Abklärungen. Die Vorlage, mit der der Bundesrat die Landwirtschaft ökologischer ausrichten will, dürfte sich nun um Jahre verzögern.
Der Nationalrat beschloss am Dienstag mit 100 zu 95 Stimmen und bei einer Enthaltung, die Agrarpolitik 22+ in eine Warteschlaufe zu schicken. Er folgte der Mehrheit der Wirtschaftskommission (WAK-N) und dem Ständerat, der dies bereits im Dezember beschlossen hatte.
Bericht bestellt
Zunächst und bis 2022 soll der Bundesrat einen Bericht abliefern. Dieser soll sich unter anderem mit der Selbstversorgung befassen, der nachhaltigen Lebensmittelproduktion, der Reduktion des administrativen Aufwandes für die Betriebe und den Rahmenbedingungen für möglichst viel unternehmerische Freiheit.
Ergänzend will der Nationalrat auch Auskunft über Fördermöglichkeiten für den Direktverkauf und über Massnahmen gegen das Verschwenden von Lebensmitteln. Mit diesem Vorgehen könne das Parlament die Beratungen zur künftigen Agrarpolitik im besten Fall im Sommer 2023 aufnehmen, sagte Landwirtschaftsminister Guy Parmelin.
Die Mehrheit im Nationalrat kritisierte, dass mit der Agrarpolitik 2022+ (AP 22+) der Selbstversorgungsgrad sinken würde, was dem in der Verfassung verankerten Ziel widerspreche. Zudem würde das Einkommen des landwirtschaftlichen Sektors sinken, wertvolles Kulturland ginge verloren, Importe würden zunehmen und die administrative Belastung für die Landwirte würde wachsen.
Markus Ritter (CVP/SG) nannte die Sistierung «eine Chance, die Agrarpolitik in eine Richtung zu lenken, die den Bauernfamilien eine langfristige Perspektive gibt». Beat Walti (FDP/ZH) sah eine Gelegenheit, «aus eingefahrenen Pfaden heraus zu finden». Es sei an der Zeit, das System der Agrarpolitik grundlegend zu überprüfen, stellte Martin Haab (SVP/ZH) fest.
Gesamtschau ändert nichts
Die unterlegene Minderheit von SP, Grünen, GLP und einzelnen FDP-Mitgliedern hätte die Vorlage beraten wollen. Nicht alle Bauern wollten die Sistierung, sagte Martina Munz (SP/SH). Aber: «Offenbar gefallen die Reformen dem Bauernverband nicht, und was dem Bauernverband nicht gefällt, hat in diesem Saal keine Chance.»
Auch mit der verlangten Gesamtschau änderten sich die Vorzeichen nicht, doppelte Kathrin Bertschy (GLP/BE) nach. In der Landwirtschaft würden nach wie vor zu viele Tiere gehalten, und zu viele Pestizide gespritzt. «Es ist der falsche Moment um die Arbeit zu verweigern», sagte Kilian Baumann (Grüne/BE).
Auch Bundespräsident Parmelin wehrte sich vergeblich gegen die Sistierung und argumentierte mit der populären Trinkwasser- und der Pestizidverbots-Initiative. Die AP 22+ zu behandeln, könnte dazu einladen, die extremen Initiativen abzulehnen, gab er zu bedenken.
In neuer Vorlage aufgenommen
Mit der AP 22+ will der Bundesrat unter anderem die Auflagen für Direktzahlungen erhöhen. Auch beim Tierwohl, der Betriebsentwicklung und der Wertschöpfung am Markt will er ansetzen, und er will in Bauernbetrieben mitarbeitende Ehegatten sozial besser absichern.
Vorschriften zu Pestiziden und Nährstoffverlusten, die der Bundesrat als Antwort auf die Trinkwasser- und der Pestizidverbotsinitiative aufnehmen wollte, hat das Parlament inzwischen selbst ausgearbeitet. Die Vorlage befindet sich in der parlamentarischen Beratung.
Mit Motionen fordern die Räte zudem, den Sozialversicherungsschutz für Ehegatten, die auf Bauernbetrieben mitarbeiten, zu verbessern. Auch dieses Vorhaben ist Bestandteil der sistierten AP 22+. Der Bundesrat ist bereit, eine separate Vorlage dazu auszuarbeiten, wie er Mitte Februar bekanntgab.
Mittel bewilligt
Behandelt und bewilligt haben National- und Ständerat hingegen die Mittel für die Landwirtschaft in den kommenden vier Jahren. Sie wollen insgesamt rund 14 Milliarden Franken zur Verfügung stellen, hauptsächlich für die Direktzahlungen. Wegen einer kleinen Anpassung muss der Ständerat noch einmal über den Zahlungsrahmen befinden.
Die unterlegene Minderheit hätte die Mittel statt für vier Jahre lediglich für 2022 und 2023 bewilligen wollen. Er solle angepasst werden können, wenn die überarbeitete Agrarpolitik 2022+ (AP 22+) dann vorliege, sagte Kathrin Bertschy (GLP/BE). Hinter sich hatte sie neben der GLP auch SP und Grüne. (awp/mc/ps)