Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)
Zürich – Die Ökonomen von Raiffeisen Schweiz gehen davon aus, dass die Schweizer Wirtschaft im laufenden Jahr nicht richtig auf Touren kommen wird. Mit einer Wachstumsrate des Bruttoinlandproduktes von 0.9% dürfte die Expansion der hiesigen Volkswirtschaft 2016 nur unwesentlich stärker als 2015 (0.7%) ausfallen.
Auch 2016 wird die Währung Thema Nummer eins in der Schweiz sein. Nach dem Wechselkursschock vor gut einem Jahr ist das Ausmass der sprunghaften Frankenaufwertung höchstens in Konturen sichtbar. Zwar gehen die Ökonomen von Raiffeisen davon aus, dass die Wirtschaft langsam wieder auf die Beine kommt, rechnen aber mit einem langwierigeren Anpassungspfad als nach früheren Aufwertungsphasen. «Erfahrungswerte für einen derart extremen Wechselkursschock sind nicht vorhanden, umso unberechenbarer sind die Folgen», hielt Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff anlässlich der Raiffeisen Prognosekonferenz in Zürich fest. «Die industrielle Basis der Schweiz ist angeschlagen wie selten zuvor. Nun liegen die Hoffnungen auf der globalen Konjunktur und insbesondere auf Europa, dem wichtigsten Handelspartner der Schweiz».
Aufwärtspotenzial überschaubar – Risiken überwiegen
Die Perspektiven der Weltwirtschaft sind gemäss den Raiffeisen-Ökonomen intakt, aber nicht begeisternd. Die grossen Hoffnungen der Schweiz liegen auf dem globalen Wachstum und der Überwindung der Rezession in Europa. Davon könnte sie hinsichtlich Wachstumsimpulse und weniger Druck auf die Währung profitieren, wenn sich die globalen Perspektiven aufhellen. Gefahr droht von den Schwellenländern, die deutlich schwächer wachsen als noch vor Jahresfrist erwartet. Brasilien und Russland finden nur zaghaft aus der Rezession, nachdem der Ölpreiscrash die Finanzen in Schieflage versetzte und die Währungen abstürzen liess.
Chinas Wachstumsmodell dürfte 2016 kritisch verfolgt werden. Rückschläge sind vorprogrammiert, da es der chinesischen Exekutive immer schwerer fällt, die komplexe Wirtschaft effizient zu steuern und zu kontrollieren. Und die Eurozone steht vor einer erneuten Belastungsprobe. Für einmal werden die Industrieländer die Zugpferde der globalen Konjunktur sein. Dies jedoch verhalten und nur, wenn die USA nicht zu viel Dynamik verliert. Dort stellt sich die Frage nach der zyklischen Reife des Aufschwungs, da sich die USA inzwischen im siebten Jahr der wirtschaftlichen Expansion befindet.
Droht die Desindustrialisierung?
In der Schweiz sind die Aufräumarbeiten nach der Aufhebung des Mindestkurses durch die Schweizeri-sche Nationalbank vom 15. Januar 2015 nur zaghaft in Gang gekommen. Die Wirtschaft löst sich nur langsam aus der Schockstarre und für viele Unternehmen insbesondere in der Zuliefererindustrie, gibt es kaum Möglichkeiten, die verlorene preisliche Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen. Zwar wirkt der Ölpreisverfall dämpfend, ebenso dass der Franken zum Euro heute näher bei 1.10 als bei Parität liegt. «Es besteht allerdings die Gefahr, dass die Schweiz einen Teil ihrer industriellen Basis endgültig verliert», so Martin Neff. «Das wäre verheerend, denn diese ist ein wichtiger Schlüssel zum Wohlstand des «Landes der Bastler und Tüftler»».
Wirtschaft im Stich gelassen
Der stetige, meist moderate Aufwertungsdruck auf den Franken ist eine historische Tatsache, mit der sich die Schweiz arrangieren konnte. Dank der starken Währung ist die Wertschöpfungsintensität der Industrie höher als anderswo und auf wenige Branchen und Nischen konzentriert. Eine Schockwelle, wie sie die Schweizerische Nationalbank am 15. Januar 2015 auslöste, lässt sich jedoch nicht einfach wegstecken. Sie traf die Wirtschaft heftiger, als sich in den Zahlen bisher zeigte. «Die Schweiz ist eines der wenigsten Länder, das seine Wirtschaft einem derart rauen Klima aussetzt, ohne Härten abzufedern», sagt Martin Neff. «Das ist bedenklich, da die Wirtschaft abgewürgt zu werden droht. Erst recht in einer Zeit, in der man noch weit entfernt von einer geldpolitischen Normalisierung ist». Die Ökonomen von Raiffeisen plädieren dafür, dass der Bund die Wirtschaft gezielt selektiv unterstützt, bis der Anpassungsprozess aus eigener Kraft fortgesetzt werden kann. Leichte Entspannung ist 2016 in Sicht, weil sich der Franken gegen den Euro abschwächen dürfte. Auf zwölf Monate hinaus prognostiziert Raiffeisen einen Eurokurs von 1.14 Franken.
Keine Zinserhöhung in Sicht
Angesichts der währungspolitischen Situation ist in der Schweiz 2016 nicht mit steigenden Zinsen zu rechnen und es zeichnet sich eine gewisse Normalisierung ab. Zumindest am Kapitalmarkt dürften bei längeren Laufzeiten wieder positive Renditen erzielt werden. Am Geldmarkt wird der Zins allerdings auch 2016 nicht aus der Minuszone kommen. 2016 wird damit zu einem Übergangsjahr für die Fi-nanzmärkte. Und für die Schweiz das Jahr der Wahrheit nach dem Frankenschock. (Raiffeisen/mc/pg)