Abpacken von Tamiflu-Einheiten bei Roche in Basel. (Foto: Copyright © F. Hoffmann-La Roche Ltd)
Basel – Das Grippemittel Tamiflu des Pharma-Konzerns Roche gibt weiterhin Anlass zu grossen Meinungsverschiedenheiten über dessen Wirksamkeit. So zweifeln die Experten der Cochrane-Gruppe dessen Wirksamkeit auf der Basis einer Analyse von Studiendaten an. Roche hingegen widerspricht den Schlussfolgerungen von Cochrane entschieden und steht hinter der Qualität und Integrität der Testdaten. An der Börse nehmen es die Anleger gelassen.
Bereits vor Jahresfrist hatte Cochrane die Verfügbarkeit von Studiendaten zu Tamiflu kritisiert. Roche hatte damals darauf hingewiesen, dass seinerzeit von 74 abgeschlossenen Studien die Ergebnisse von 71 verfügbar waren.
Eine umfassende Analyse der klinischen Studiendaten zeige ein weniger positives Bild von Oseltamivir (Tamiflu) als jenes, das den Zulassungsbehörden, Politikern, Ärzten und der Öffentlichkeit präsentiert worden sei, schreibt die Fachpublikation «British Medical Journal» (BMJ) in einem am heutigen Donnerstag online publizierten Artikel unter dem Titel «The Tamiflu trials» auf der Basis der Cochrane-Analyse.
«Wichtige Vorteile (des Medikamentes) sind zu stark betont worden und Nebenwirkungen zu wenig», so der BMJ-Artikel weiter. Die Analyse der Daten habe keine überzeugende Hinweise geliefert, dass Tamiflu – wie vom Hersteller behauptet – das Risiko von Komplikationen einer Grippeerkrankung senke wie Lungenentzündung oder Einweisung in ein Spital. Dies sei jedoch ein wesentlicher Grund dafür gewesen, weshalb das Medikament international auf Vorrat eingekauft worden sei, wird geltend gemacht.
Entscheidender Widerspruch
Der Pharma-Konzern Roche bestreitet die Anschuldigungen von Cochrane scharf: «Roche widerspricht entschieden den Schlussfolgerungen der Cochrane-Gruppe (…) aus ihrer Analyse zu Tamiflu. Roche steht voll und ganz hinter der Qualität und Integrität der Tamiflu-Daten», teilt der Konzern am Donnerstag in einer Stellungnahme auf Anfrage mit. «Die Entscheidungen von weltweit 100 Zulassungsbehörden sowie die in der Anwendungspraxis gewonnenen Daten (Real-World-Evidenz) belegen, dass Tamiflu ein wirksames Arzneimittel zur Behandlung und Prävention der Influenza-Infektion ist», heisst es weiter.
Im weiteren befürwortet der Pharma-Konzern unabhängige Forschung, stellt indessen die Kompetenz der Cochrane-Experten bei der Analyse von Tamiflu-Daten in Frage. «Jedoch sehen wir die Cochrane-ARI-Gruppe, die sich selbst als unerfahren im Umgang mit grossen Datenmengen aus klinischen Studienberichten ausweist, nicht als Instanz zur Beurteilung des Nutzens von Neuraminidasehemmern an.»
Die der Cochrane-Gruppe zur Verfügung gestellten individuellen Patientendaten seien in ihrer Analyse nicht berücksichtigt worden, übt Roche weiter Kritik. Diese Daten ermöglichten es, klinische Ergebnisse genauer zu beurteilen, und hätten im Vergleich zu den von der Cochrane-Gruppe verwendeten Gesamtstudiendaten viele statistische Vorteile.
Eine kürzlich in der Fachzeitschrift «The Lancet Respiratory Medicine» veröffentlichte Studie mit individuellen Daten von fast 30’000 Patienten, die während einer Pandemie ermittelt worden seien, sei so zu anderen Schlussfolgerungen gekommen. «Diese zeigten, dass die Behandlung mit Neuraminidasehemmern wie Tamiflu zu einer Reduktion des Sterberisikos um 19% im Vergleich zu keiner Behandlung führte.»
Andere Studien und «Real-World»-Daten belegten gemäss Roche ebenfalls, dass Tamiflu die Schwere und Dauer der Symptome bei mit Influenza infizierten Menschen effektiv reduziere.
Roche hat mit Tamiflu vor allem zur Pandemie-Vorsorge Milliardenumsätze erzielt. 2013 erreichte das Medikament noch einen Umsatz von 635 Mio CHF; die Verkäufe der Pharma-Division beliefen sich auf 36,3 Mrd.
Gelassene Reaktion an der Börse
Die Marktteilnehmer reagieren auf die nicht neue Kritik an Tamiflu gelassen. «Allenfalls besteht eine gewisse Gefahr für einen möglichen Reputationsschaden», kommentieren die Experten der Notenstein Privatbank. Roche habe Tamiflu noch nie in die Guidance integriert, geben Händler zu bedenken. Somit habe das Medikament keinen Einfluss auf die Schätzungen. Der Roche-Genussschein tendiert mit dem Markt (SMI: -0,08%) und notiert um Mittag um 0,1% tiefer auf 255,30 CHF. (awp/mc/upd/ps)