Rückblick 2021 der sicherheitspolitischen Kolumne auf Moneycab

Rückblick 2021 der sicherheitspolitischen Kolumne auf Moneycab
Dr. Fritz Kälin

Diese monatliche Kolumne blickt auf ihr erstes Jahr zurück. Wie lässt sich das Jahr anhand der einzelnen Beiträge zusammenfassen? Aus Schweizer (und wirtschaftlicher) Sicht setzten sich 2021 viele beunruhigende Entwicklungen fort. Sowohl die Verschiebung der globalen Kräfteverhältnisse als auch die anhaltende Corona-Pandemie zwingen Staaten unabhängig von ihrer Grösse oder Lage, mehr in die eigene Krisenvorsorge zu investieren.

Von Dr. Fritz Kälin

Die globale Kräfteverschiebung birgt Eskalationspotential und stellt westliche Mächte vor heikle Zielkonflikte

Als Auftakt veranschaulichte diese Kolumne den Wettstreit der Nationalstaaten durch einen Vergleich mit dem Ökosystem Wald. So wie jeder Baum ein Zusammenspiel aus seinem Wurzelwerk, Stamm und Blattwerk darstellt, muss jeder Staat seine drei Ziele Unabhängigkeit, Wohlstand und Einflussnahme auf andere Staaten in ein stimmiges Gleichgewicht bringen. Die Ziel- und Mittelgewichtung stand dann auch im Fokus des zweiten Beitrags über das post-Brexit «Global Britain». Wie die USA möchte auch Grossbritannien als Seemacht vermehrt dort präsent sein, wo die globale Weltwirtschaft ihren maritimen Schwerpunkt haben wird: im indo-pazifischen Raum. 2021 zeigte London in Fernost mit dem ersten seiner beiden neuen Flugzeugträger Präsenz. Zugleich sieht sich London genötigt, wieder in seine lange vernachlässigte Kampfpanzerflotte zu investieren, um den baltischen NATO-Verbündeten glaubwürdig beistehen zu können. Zwei gegensätzliche Investitionsbedürfnisse die das geopolitische Dilemma veranschaulichen, in das sich der Westen insgesamt manövriert hat. Zwar strich er nach dem Zerfall der Sowjetunion eine beträchtliche Friedensdividende in der militärischen Landesverteidigung ein, verpasste aber eine nachhaltige Aussöhnung mit dem damals geschwächten Russland. Die meisten westlichen Staaten setzten ihre schrumpfenden Militärbudgets für die kostspielige Transformation zu Expeditionsstreikträften ein. Der Migrationsdruck in Richtung Europa belegt, dass es mit diesen Auslandeinsätzen nicht gelang, den Krisengürtel um Europa herum zu stabilisieren. Auch die Kriege der USA im Irak und Afghanistan haben die globale Hegemonie der Supermacht eher untergraben als gestärkt. Währenddessen haben Russland und China ihre Streitkräfte so konsequent modernisiert, dass sie die US-geführte westliche Weltordnung immer offener herauszufordern wagen. Wer mit den Krisen um Westberlin und Kuba während des Kalten Krieges vertraut ist, kann ermessen, welches Eskalationspotential heute den wachsenden Spannungen um die Ukraine und Taiwan innewohnt.

Die Pandemie zwingt auch reiche Länder, Essentielles von Wünschbarem zu unterscheiden

Die Corona-Epidemie zeigte auch in der Schweiz, dass die Nachlässigkeit in der Landesverteidigung sich auf die allgemeine Krisenvorsorge schädlich auswirken kann. In der Schweiz sind die jährlichen Gesundheitsausgaben auf über 80 Milliarden gestiegen. An teuren Apparaturen fehlt es selbst in kleineren Spitälern nicht, dafür waren simple Verbrauchsmaterialien wie Desinfektionsmittel und Schutzmasken ausgerechnet in den ersten kritischen Wochen der Pandemie Mangelware. Armee und Zivilschutz als strategische Reserve der Krisenbewältigung konnten bei der Patientenversorgung und bei der Grenzkontrolle wertvolle Unterstützung leisten. Auch zweieinhalb Jahren nach Ausbruch der Seuche muss auf die Milizkräfte zurückgegriffen werden. Ein Grund mehr, die Durchhaltefähigkeit ins Zentrum der hierzulande bevorstehenden Debatten um die Alimentierung und Dienstpflichtmodelle zu stellen.

Die Schweiz könnte aus ihrer früheren sicherheitspolitischen Weitsichtigkeit Vertrauen schöpfen 2021 veröffentlichte der Bundesrat seinen neuesten sicherheitspolitischen Bericht. Die darin vorgenommene Analyse der gegenwärtigen (Bedrohungs-)Lage gibt keinen Anlass zu Optimismus. Der neueste Bericht wagt keine möglichen Entwicklungsszenarien zu skizzieren. Der viel ältere Bericht von 1990 blickte mit Geschichtsbewusstsein in die Zukunft und ist deshalb heute wieder beklemmend lesenswert: «Wenn wir auf die Karte der Hoffnung setzen, dürfen wir es dennoch nicht an der gebotenen Wachsamkeit fehlen lassen. Gerade in einer Zeit erhöhter Ungewissheit kann ein Rückfall in machtpolitisch gefährliche Entwicklungen nicht ausgeschlossen werden.» Selbst die Reduit-Truppen übten 1992 für heute beklemmend aktuell wirkende Szenarien. 30, 40 Jahre sind eine lange Zeit, weshalb es der ersten Verteidigungsministerin der Schweiz hoch anzurechnen ist, dass sie 2021 den Bundesrat von der nachhaltigsten Investitionsvariante für die Erneuerung der Luftverteidigung überzeugen konnte. Vielleicht noch schwieriger als Investitionen in die bewährte bewaffnete Neutralität ist die bewusste Zurückhaltung bei an sich sinnvollen Möglichkeiten zur engeren Sicherheitszusammenarbeit innerhalb Europas.


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