SBB müssen bis in fünf Jahren 1000 Lokführer ersetzen
Bern – Bis 2024 müssen die SBB rund 1000 Lokführer ersetzen. Denn bis dahin verabschieden sich zahlreiche Mitarbeiter aus den «einstellungsreichen» Jahren in Pension. Die Gewerkschaft kritisiert, dass die SBB diese Entwicklung verschlafen hätten.
Tiefe Löhne, unregelmässige Arbeitszeiten, kaum planbare Freizeit und schwierige Vereinbarkeit mit der Familie: Was früher der Traumberuf vieler Buben war, sei heute für Einsteiger einfach nicht mehr attraktiv, sagte der Präsident der Lokführer-Gewerkschaft SEV-LPV, Hans-Ruedi Schürch, am Mittwoch der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Er bestätigte damit eine Meldung im «Blick». Viel zu lange hätten sich die SBB auf das Traumberuf-Image verlassen und zu wenig Lokführer ausgebildet. Bei einem Ausbildungslohn von 45’000 Franken brutto aber könnten zum Beispiel junge Familienväter kaum mehr angelockt werden. Und auch der Lohnanstieg sei nicht befriedigend. Dazu kämen Aussagen über führerlose Züge von SBB-Chef Andreas Meyer. Das verunsichere potenzielle Kandidaten weiter.
«Beruf mit Zukunft»
Zur Zeit beschäftigen die SBB rund 3500 Lokführerinnen und Lokführer. Wegen des Ausbaus des Bahnangebotes würden aber mehr Fachleute benötigt, teilten SBB auf Anfrage mit. Sprecher Reto Schärli räumt ein, dass jüngere Generationen weniger motiviert seien, den Beruf des Lokführers zu erlernen.
Doch er bestreitet, dass die Bahn die Pensionierung vieler erfahrener Lokführer nicht antizipiert habe. Genau deshalb bildeten die SBB seit Jahren deutlich mehr Lokführer aus.
So gebe es heute «jährlich zehn bis zwölf Ausbildungsklassen» mit bis zu 18 Anwärterinnen und Anwärtern, gegenüber drei bis vier Klassen in früheren Jahren. Gemäss Schürch werden die gewünschten Klassengrössen jedoch zunehmend nicht mehr erreicht.
SBB-Sprecher Schärli hebt auch hervor, dass der Beruf des Lokführers trotz der laufenden Automatisierung Zukunft habe. Denn Fachleute würden auch bei selbstfahrenden Zügen benötigt, vor allem in «ausserordentlichen Betriebslagen». Ausserdem bezahlten die SBB marktgerechte Löhne mit attraktiven Anstellungsbedingungen. Trotzdem prüften sie, ob in Zukunft eine Anpassung nötig sei.
Baustellen und Zusatzzüge
Auch der Ausbau des Angebotes und die zahlreichen Baustellen und Streckensperrungen machen den Lokführern zu schaffen. Denn damit würden ihre Touren weniger effizient, lange Pausen seien die Konsequenz, sagte Schürch.
Dass die angekündigten 1900 Extrazüge von Mai bis September für Sommeranlässe eine «tageweise angespannte Personalsituation» zur Folge hätten, räumen auch die SBB ein. Für Gewerkschaftschef Schürch bedeuten diese zusätzlichen Angebote vor allem «unproduktive Kurzeinsätze»: einmal hin und einmal zurück.
All das führe zu Überstunden, die geschuldet, aber nicht abgebaut werden könnten, sagte Schürch. Daran hätten die SBB aber nicht gedacht. Um die Situation bereinigen zu können, müssten sie eigentlich mehr Lokführer anstellen. Nach Angaben der SBB können die Lokführer die zusätzlichen Schichten «selbstverständlich» kompensieren. Wenn nötig übernähmen auch externe Lokführer gewisse Touren, hiess es.
Mangelhaftes Planungstool
Zu reden gibt auch das Planungstool, das seit 2017 bei den Lokführern zum Einsatz kommt. Denn dieses sei unproduktiv, unübersichtlich und führe zu einem Mehrbedarf an Lokführern, sagte Schürch. Auch die SBB geben zu, dass das neue System «mehr Ressourcen bindet, als das alte.» Doch es habe ersetzt werden müssen.
Einen direkten Zusammenhang zwischen dem System und den Zugausfällen vor einer Woche in der Region Zürich gebe es jedoch nicht. Der Mehrbedarf an Lokführern sei dort «wegen zahlreichen Baustellen und Zusatzzügen» unterschätzt worden: Zu wenige Mitarbeiter wurden eingeteilt. Das führte dazu, dass morgens und abends 25 Züge nicht gefahren werden konnten. Die Reisenden mussten auf die regulären Verbindungen gelenkt werden. (awp/mc/pg)