Nachrichtendienstgesetz mit 65,5% angenommen
Bern – Der Nachrichtendienst darf künftig Telefongespräche abhören, Privaträume verwanzen und in Computer eindringen. Das Stimmvolk hat das neue Nachrichtendienstgesetz am Sonntag überaus deutlich angenommen, mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 65,5 Prozent.
Insgesamt legten rund 1’458’800 Personen ein Ja in die Urne, 768’500 Personen sagten Nein. Die Zustimmung hatte sich abgezeichnet. Sie fiel indes klarer aus als die Umfragen erwarten liessen. Die Gegner, die sich im «Bündnis gegen den Schnüffelstaat» zusammen geschlossen hatten, waren chancenlos. 27 Jahre nach der Fichenaffäre scheint der Nachrichtendienst in der Bevölkerung grosses Vertrauen zu geniessen.
Am deutlichsten stimmte der Kanton Waadt mit rund 74 Prozent zu, gefolgt von Nidwalden mit rund 70 Prozent. In Luzern, Zug und Obwalden sagten 69 Prozent Ja, in Freiburg 67 Prozent. Die tiefste Zustimmung erhielt das neue Gesetz im Kanton Basel-Stadt mit 55 Prozent. Es war der einzige Kanton mit einer Zustimmung unter 60 Prozent. Eine Nein-Mehrheit resultierte in keinem Kanton.
Angst vor Terror
Den Befürwortern dürften die Terroranschläge in Europa in die Hände gespielt haben. Vor sechs Jahren war ein ähnliches Gesetz bereits im Parlament gescheitert. In der Zwischenzeit ist viel passiert. Zwar dominierten nicht nur Terroranschläge, sondern auch die Überwachung durch US- und britische Geheimdienste die Schlagzeilen.
Die Angst vor Terror scheint aber grösser zu sein als die Angst vor Überwachung. Die bürgerlichen Parteien argumentierten im Abstimmungskampf, das neue Gesetz bringe mehr Sicherheit. Heute sei der Nachrichtendienst blind und taub. Gebe die Schweiz ihrem Nachrichtendienst nicht mehr Kompetenzen, delegiere sie die Überwachung an ausländische Dienste.
Freiheit geopfert
Die Gegner aus den Reihen der Linken argumentierten vergeblich, mit einem Ja zur Überwachung werde die Freiheit geopfert, welche man zu verteidigen vorgebe. Massenüberwachung widerspreche aber nicht nur den Grundrechten, sondern sei auch nutzlos: Die Nadel im Heuhaufen lasse sich nicht leichter finden, wenn man den Heuhaufen vergrössere.
Nicht überzeugt hat das Stimmvolk offenbar auch das Argument der Gegner, dass Personen schon heute überwacht werden können, wenn die Strafverfolgungsbehörden es anordnen – etwa bei Verdacht auf Vorbereitung eines Terroranschlags. Mit dem neuen Gesetz ist Überwachung nun präventiv erlaubt, ohne Verdacht auf eine Straftat.
Überwachung erlaubt
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) erhält erheblich mehr Kompetenzen. Bisher durfte er Personen nur in der Öffentlichkeit beobachten. Künftig darf er Telefongespräche abhören, Privaträume durchsuchen und verwanzen, in Computer eindringen und Ortungsgeräte verwenden.
Das Gesetz ermöglicht dem Nachrichtendienst auch die sogenannte Kabelaufklärung, die Auswertung von Daten aus der Internetkommunikation. Ins Visier des Dienstes könnte dadurch geraten, wer bestimmte Begriffe in E-Mails erwähnt. Bearbeitet werden dürfen nur jene Informationen, die den vorgängig definierten Suchbegriffen entsprechen.
Richter muss zustimmen
Der Bundesrat versicherte, die neuen Überwachungsmassnahmen würden lediglich in etwa zehn Fällen pro Jahr angewendet. Die Befürworter räumten im Abstimmungskampf ein, es könnten auch etwas mehr Fälle sein. Im Gesetz ist keine Zahl verankert. In jedem Fall müssen die Massnahmen indes abgesegnet werden.
Zustimmen muss jeweils der Verteidigungsminister nach Konsultation der Justizministerin und des Aussenministers sowie ein Richter des Bundesverwaltungsgerichts. Im Ausland darf der NDB ohne richterliche Genehmigung Computer hacken. Missbrauch soll eine verstärkte Aufsicht verhindern: Neben der verwaltungsinternen und der parlamentarischen Oberaufsicht wird eine unabhängige Aufsichtsbehörde geschaffen.
Austausch von Daten
Das Gesetz schafft auch eine explizite Grundlage für die Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten. Neben Terrorismus oder Spionage soll der Nachrichtendienst wie bisher gewalttätigen Extremismus ins Visier nehmen. Das Abhören von Telefongesprächen oder das Eindringen in Computer ist hier aber nicht zulässig – ausser der Extremismus entwickelt sich zum Terrorismus hin.
Neu kann der Bundesrat Organisationen oder Gruppierungen verbieten, die terroristische oder gewalttätig-extremistische Aktivitäten propagieren, unterstützen oder fördern. Heute ist auf Gesetzesebene nur ein Tätigkeitsverbot für Organisationen vorgesehen, nicht aber ein Organisationsverbot.
Diskussionen gehen weiter
Mit dem Ja zum neuen Nachrichtendienstgesetz ist die Diskussion über den Umgang mit Terrorgefahr, Verdächtigen und Sympathisanten nicht zu Ende. Für Diskussionen sorgt die Frage, wie mit Personen zu verfahren ist, die ihre Gefängnisstrafe abgesessen haben, nach wie vor als gefährlich eingeschätzt werden und nicht ausgewiesen werden können. Bereits sind Forderungen nach einer Präventivhaft laut geworden.
Zur Diskussion stehen zunächst aber längere Gefängnisstrafen für die Unterstützung terroristischer Organisationen. Eine Expertengruppe hat im Auftrag des Bundesamtes für Justiz Vorschläge dazu erarbeitet. Die maximale Freiheitsstrafe für Unterstützter soll demnach von fünf auf zehn Jahre erhöht werden. Zudem soll breiter gefasst werden, was als Unterstützung gilt. Die Vorschläge werden nun geprüft. (awp/mc/pg)