Schweiz-EU: Gewerkschaften boykottieren Gespräche über Lohnschutz

Schweiz-EU: Gewerkschaften boykottieren Gespräche über Lohnschutz
SGB-Präsident Paul Rechsteiner. (Foto: SGB / Flickr)

Bern – Streit zwischen den Gewerkschaften und Bundesrat Johann Schneider-Ammann: Die Gewerkschaften wollen nicht über eine Schwächung des Lohnschutzes verhandeln. Der Wirtschaftsminister reagiert verärgert.

Die Wogen gingen hoch am Mittwoch: Paul Rechsteiner, der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), warf Schneider-Ammann vor den Medien «Verrat» an den Arbeitnehmenden vor. Dieser sprach von «Vertrauensbruch».

Am Donnerstag finden nun trotzdem Gespräche über mögliche Anpassungen bei den Flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit statt. Allerdings nehmen daran nur die Vertreter der Arbeitgeber und der Kantone teil. Der SGB und Travail.Suisse beschlossen, den Gesprächen fernzubleiben.

Die Gewerkschaften werfen den freisinnigen Bundesräten Johann Schneider-Ammann und Ignazio Cassis vor, den Lohnschutz in der Schweiz zur Disposition zu stellen – und dies, obwohl der Bundesrat etwas anderes entschieden habe.

Rote Linien bestätigt
Vor den Sommerferien hatte der Bundesrat die roten Linien für die Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen bestätigt. Dazu gehören die Flankierenden Massnahmen (FlaM) zur Personenfreizügigkeit: Diese sollen nicht angetastet werden.

Gleichzeitig beschloss der Bundesrat aber, im Sommer die Sozialpartner zu konsultieren. Das Ziel sei es, über die «Auslegung» der roten Linien zu diskutieren, sagte Cassis damals. Die Frage sei, wie das gleiche Ziel – Lohnschutz – allenfalls mit anderen Instrumenten erreicht werden könne.

Umstrittene Vorgaben
Die Gewerkschaften sind aber schon mit den Zielen nicht einverstanden. Aus den Verhandlungen sollen nach Darstellung des SGB Vorschläge resultieren, wie die Flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit (FlaM) in «einer von der EU akzeptierten Form» ausgestaltet werden könnten. Diese müssen zudem «vor einer allfälligen Einschätzung des EuGH Bestand haben».

Schneider-Ammann stritt zwar nicht ab, dass das im fraglichen Papier steht. Die Darstellung sei aber unvollständig, kritisierte er an einer kurzfristig einberufenen eigenen Medienkonferenz. «Ich akzeptiere nicht, dass man mir unterstellt, ich würde Arbeitsplätze und Löhne in Frage stellen.»

Kein eigenständiger Lohnschutz
Im Papier stehe auch, dass das aktuelle Schutzniveau beibehalten werden solle, betonte Schneider-Ammann. Ausserdem wolle man Garantien aushandeln, die den Schweizer Besonderheiten Rechnung tragen.

Für die Gewerkschaften laufen die Vorgaben trotz dieser Zusicherungen auf eine Schwächung des Lohnschutzes hinaus: Wenn die EU-Kommission und der EuGH Kompetenzen zu den FlaM erhielten, werde der Druck auf den Schweizer Lohnschutz massiv steigen, argumentieren sie. Länder wie Österreich oder Luxemburg seien gezwungen worden, einen Teil ihrer Schutzmassnahmen aufzugeben.

Zu hoher Preis für Abkommen
Der Dachverband Travail.Suisse teilt die Einschätzung des SGB. In einer Mitteilung schrieb er, nach ersten Gesprächen habe sich leider gezeigt, dass die Verhandlungen auf einen Abbau der FlaM zielten. Deshalb habe man beschlossen, sie abzubrechen. Auf dieser Basis machten Gespräche keinen Sinn.

Einen solchen Preis wollen die Gewerkschaften für ein Rahmenabkommen nicht zahlen. «Dann lassen wir es bleiben», sagte Rechsteiner. Eine Schwächung des Lohnschutzes würden die Gewerkschaften mit allen geeigneten Mitteln bekämpfen, bis hin zum Referendum. Stellen sich am Ende neben der SVP auch die Gewerkschaften gegen das Abkommen, dürfte dieses chancenlos sein.

Nicht nur 8-Tage-Regel
Bisher wurde vor allem über eine mögliche Aufweichung der sogenannten 8-Tage-Regel diskutiert. Gemäss dieser müssen Unternehmen aus der EU einen Auftrag in der Schweiz mindestens 8 Tage vorab den Schweizer Behörden melden. Das ermöglicht Lohnkontrollen – vor allem bei jenen, die nur kurz in der Schweiz arbeiten.

Der SGB betont aber, es gehe um viel mehr als um die 8-Tage-Regel. Das Wirtschaftsdepartement wolle den gesamten Lohnschutz zur Disposition stellen – die Zahl und Qualität der Kontrollen, die Kautionen und Sanktionen gegen Lohndumper und das bewährte System der allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträge.

Schweizer Löhne in der Schweiz
Für die Gewerkschaften gibt es dazu nichts zu verhandeln. Sie bezweifeln auch, dass Konzessionen zwingend sind. Die EU-Kommission habe schon immer Forderungen zum Lohnschutz gestellt, sagte Rechsteiner. Das sei nicht neu. Neu sei, dass man in der Schweiz die Nerven verliere.

In der Schweiz müssten aber Schweizer Löhne bezahlt werden. Das habe der Bundesrat der Bevölkerung bei den Abstimmungen zu den bilateralen Verträgen versprochen. Der schweizerische Lohnschutz sei nicht ein Hindernis, sondern die Voraussetzung und Erfolgsbedingung für die Bilateralen und deren Weiterentwicklung.

Auch Schneider-Ammann ist klar, dass ein Rahmenabkommen ohne die Gewerkschaften nicht zu haben ist. Er zeigte sich zwar verärgert, machte aber gleichzeitig deutlich, dass er weiterhin das Gespräch mit den Gewerkschaften sucht. Möglicherweise habe es ein klärendes Gewitter gebraucht, sagte er. Nun gelte es, die Wogen wieder zu glätten. (awp/mc/ps)

SGB

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