Gütersloh – Der EU-Binnenmarkt ist der grösste Wirtschaftsraum der Welt. Auf dem Papier soll er den freien Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr garantieren. Die Bertelsmann-Stiftung hat untersucht, wie sich der EU-Binnenmarkt auf die Einkommen in Europas Regionen auswirkt. Am stärksten profitiert ausgerechnet ein Land, das nicht zur EU gehört: Die Schweiz.
Der EU-Binnenmarkt hat nicht nur den Abbau von Grenzkontrollen bewirkt, sondern beschert den Europäern grundsätzlich auch ein Plus im Portemonnaie. Im Durchschnitt steigert der Binnenmarkt die Einkommen der EU-Bürger jährlich um rund 840 Euro pro Person.
Zürich und London zählen zu den Regionen, in denen die Einwohner mit über 2000 Euro Einkommensgewinnen europaweit am stärksten profitieren. Damit sind einige der grössten Gewinner des Binnenmarktes aktuell in Ländern zu Hause, die momentan kein EU-Mitglied sind oder zukünftig die Gemeinschaft und damit auch den Binnenmarkt verlassen könnten. Das sind die Ergebnisse einer umfassenden Analyse, für die unsere Autoren über 250 Regionen in Europa bezüglich der Einkommensgewinne durch den Binnenmarkt untersucht haben. Konkret haben sie das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr gemessen.
Europatrend: Zentrum schlägt Peripherie
Europaweit zeigen sich zwei wesentliche Trends: Zum einen sind es nicht die grössten Volkswirtschaften, die am stärksten profitieren, sondern vor allem verhältnismäßig kleine, aber exportstarke Nationen. Zum anderen gilt: Zentrum schlägt Peripherie. Länder im geographischen Zentrum Europas profitieren deutlich stärker als EU-Mitglieder im Süden oder Osten des Kontinents.
Kleine, viel Handel treibende Länder an der Spitze
Die grössten Einkommensgewinne pro Person und Land können die Einwohner in der Schweiz (2.900 Euro), Luxemburg (2.800 Euro) und Irland (1.900 Euro) verbuchen, aber auch Belgien, Österreich oder die Niederlande sind unter den Top-Profiteuren. «Die grössten Gewinner sind kleine Länder, die viel Handel treiben und besonders international ausgerichtet sind», erklärt Dominic Ponattu, Mitautor der Studie. Dazu liegen sie häufig im Windschatten grösserer Volkswirtschaften: «Für Länder wie beispielsweise die Niederlande oder Österreich ist der Binnenmarkt Gold wert, denn sie verfügen über wettbewerbsfähige Branchen, sind aber aufgrund kleiner Inlandsmärkte vom Export abhängig», so Dominic Ponattu. Die Zuwächse in Südeuropa fallen hingegen auch aufgrund der geringeren Wettbewerbsfähigkeit niedriger aus. So etwa in Spanien (590 Euro pro Kopf und Jahr), Portugal (500 Euro) oder Griechenland (400 Euro).
Auf regionaler Ebene gehören vor allem industriestarke und städtisch geprägte Regionen zu den Gewinnern. Diese sind auch von einem starken Fachkräftezuzug geprägt, denn der Wegfall von Grenzen befördert die EU-weite Ansiedlung von Branchen in einzelnen Regionen: So profitieren Städte wie Berlin von einer wachsenden Startup-Szene, London und Zürich von der Finanzwirtschaft. Zürich gehört mit 3.590 Euro an Einkommensgewinnen pro Kopf zu den grössten Gewinnern, gefolgt von London (2.700 Euro) und Brüssel (2.470 Euro).
Die geringsten Zuwächse erzielen hingegen die Einwohner ländlich geprägter ost- und südeuropäischer Regionen. In Bulgarien, Rumänien oder Griechenland liegen jeweils die Regionen mit den niedrigsten Einkommensgewinnen (120 Euro bis maximal 500 Euro). Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass die EU gegensteuert und Länder wie Bulgarien und Griechenland im Verhältnis mehr EU-Mittel aus der Regional- und Strukturförderung erhalten. (Bertelsmann/mc/pg)