Schweizer Bevölkerung will keine Energieanlagen in unberührten Alpenlandschaften
Trotz drohender Versorgungslücke im Winter und hohen Strompreisen: Anlagen für erneuerbare Energie in den unberührten Alpen bleiben für die Schweizer Bevölkerung weiterhin tabu. Dies zeigt die kürzliche Wiederholung einer Befragung von 2018 durch Forschende der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. Für Standorte in Bergregionen, die schon über touristische Infrastruktur verfügen, ist die Akzeptanz für Photovoltaik-Anlagen hingegen massiv gestiegen.
Alternative Energiequellen leisten einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und zur Stromversorgungs-Sicherheit im Winter. Aber was hält die Bevölkerung von den damit verbundenen Eingriffen in das Landschaftsbild? Windparks etwa werden regelmässig durch Einsprachen blockiert. WSL-Forschende führten daher bereits 2018, nachdem die Energiestrategie 2050 und damit der Ausbau der Alternativenergie angenommen wurde, eine landesweit repräsentative Onlinebefragung «Energieinfrastrukturen in typischen Schweizer Landschaften» (Energyscape) durch.
Diese zeigte auf: In der Bevölkerung herrscht ein Konsens, wo Solarpanels, Windräder oder Hochspannungsleitungen stehen sollen – und wo nicht. «In den unberührten Alpen und Voralpen waren diese Anlagen tabu», sagt Landschaftsforscher Boris Salak von der WSL, der die Befragung durchgeführt und ausgewertet hat. Wo bereits touristische Infrastruktur vorhanden ist, stören Energieanlagen weniger. Am geeignetsten fanden die Befragten die städtischen Räume und Agglomerationen.
Beurteilung unverändert
Aber haben die Debatte im Sommer und Herbst 2022 über Strommangel und kalte Wohnungen oder der Ukraine-Krieg die Einstellung der Leute vielleicht verändert? Um das herauszufinden, wiederholten die WSL-Forscher im Oktober 2022 die Befragung von 2018: Erneut beurteilten über 1000 Personen Bilder von typischen Schweizer Landschaften mit Darstellungen mit unterschiedlicher Anzahl und unterschiedlicher Mischung verschiedener Energieanlagen (Wind, PV, Hochspannungsleitungen). Das Ergebnis: «Die Bevölkerung lehnt Energieanlagen in unberührten Berggebieten weiterhin deutlich ab», so Salak.
Allerdings zeigt sich auch: Die Bevölkerung unterscheidet klar zwischen unberührten Alpenlandschaften und solchen mit touristischer Prägung. Denn, so Salak: «Touristisch geprägte Alpenlandschaften werden von der Bevölkerung mittlerweile – und da liegt die grösste Veränderung zu 2018 – für die Entwicklung von Energieinfrastrukturen gleichermassen deutlich bevorzugt wie Landschaften in den Siedlungsgebieten des Mittellands».
Keine Anlagen in unberührten Berggebieten erwünscht
Die Nachbefragung macht nach Ansicht der Forschenden deutlich, wo Grossanlagen für Alternativenergien Chancen haben und wo nicht. «Bei Projekten in unberührten Berggebieten ist nicht nur mit dem Widerstand seitens des Natur- und Landschaftsschutzes zu rechnen, sondern von grossen Teilen der Bevölkerung», sagt der Projektleiter Marcel Hunziker, Leiter der Forschungsgruppe Sozialwissenschaftliche Landschaftsforschung der WSL. «Selbst wenn Personen der Meinung sind, dass es den Ausbau der ‘Erneuerbaren’ braucht, um globale Umweltprobleme zu lösen, oder man so viel Energie wie möglich produzieren muss, um unseren Bedarf zu decken, und Menschen sich von einer Erhöhung der Strompreise existentiell bedroht fühlen – ändert dies nichts an der Ansicht, dass unberührte Berggebiete vor der Entwicklung zu Energielandschaften zu verschonen seien», macht Salak deutlich. Anders sei dies in Regionen wie dem Jura oder den Voralpen. Da sähen diejenigen, die für den Ausbau der «Erneuerbaren» sind, weit grösseres Potenzial als der Rest der Bevölkerung.
Was das Projekt Energyscape, eine Zusammenarbeit mit der ETH Zürich, auch gezeigt hat: Die Zustimmung der Menschen zur Standortwahl für Energieanlagen hängt stark davon ab, welche Bedeutungen die Menschen den Landschaften und den Energieinfrastrukturen zuweisen; etwa ob letztere für sie eher eine negativ beurteilte weitere Technologisierung der Landschaft oder ein als positiv empfundenes Symbol für den Fortschritt zur Nachhaltigkeit darstellen. «Solche Bedeutungszuweisungen können beeinflusst werden – in die eine oder andere Richtung –, wie es uns Werbung und auch Politik täglich vormachen. Um vermehrt Solarparks zu realisieren, sollten vielmehr die demokratischen Mitsprachemöglichkeiten deutlich verbessert werden. Dabei geht es darum, die Bevölkerung vermehrt mit positiven ‘Deutungen’ zu überzeugen und sie so für die Energiewende bis hin zu ‘Netto-Null’ zu gewinnen. Das wäre gesellschaftlich nachhaltiger und schliesslich effizienter, weil es von der Bevölkerung getragen würde», sagt Hunziker. (WSL/mc/hfu)