Bern – Viele Schweizer Zeitungskommentare fordern nach den Pariser Anschlägen einen harten und koordinierten Kampf gegen die IS-Terroristen. In der Schweiz rückt die Frage ins Zentrum, wie stark die Überwachung ausgebaut werden soll und wie viel Sicherheit dies bringt.
«Neue Zürcher Zeitung»: «Präsident Hollande hat den Fehdehandschuh aufgegriffen und spricht von einem Kriegszustand, in dem sich das Land befindet. Frankreich, das ohnehin schon eines der schärfsten Gesetze zur Terrorismusbekämpfung hat, wird Nachrichtendienste und Polizei ausbauen. Doch das alleine genügt nicht. Da es bei Anschlägen in Europa häufig grenzüberschreitende Bezüge gibt, müssen auch die Staaten ihre Anstrengungen verstärken, die wie Deutschland und die Schweiz ihre Sicherheitsbehörden mit Misstrauen betrachten und ihnen nur zögerlich neue Kompetenzen zugestehen. Europa sollte ferner den Kampf gegen die Urheber des Terrors in deren Länder tragen und sich mit aller Entschlossenheit im Nahen Osten militärisch engagieren, um den IS zu vernichten. Die enge Verzahnung von Polizei, Nachrichtendiensten und Armee bringt in der Epoche des globalen Jihad die besten Resultate. Die Amerikaner haben so die Kaida zerschlagen.»
«Blick»: «Teil eines Dritten Weltkrieges seien die Anschläge von Paris, sagt Papst Franziskus. … Der Hinweis auf einen möglichen Dritten Weltkrieg öffnet im Westen vielleicht die Augen dafür, was sich in dieser Situation aus dem Zweiten Weltkrieg lernen liesse. Im fünften Kriegsjahr beschlossen die Alliierten damals, inklusive Russland, die Faschisten in Europa durch Härte, Einigkeit und Konsequenz zu besiegen. Und heute? Europa ist ein taumelnder Kontinent, unfähig, eine gemeinsame Sicherheits- und Aussenpolitik zu definieren. Unfähig zu erkennen, dass es ohne Russland keinen Sieg über den IS geben kann.»
«Tages-Anzeiger»: «Die Zustimmung zu verschärften Sicherheitsvorkehrungen wird nach diesem Freitag nicht nur in Frankreich, sondern in allen westlichen Staaten deutlich steigen: Dazu werden der aufwendige Schutz von Grossanlässen gehören und – problematischer – mehr Überwachung und die sich abzeichnende Wiedereinführung von Grenzkontrollen. … Zivile Ziele werden angreifbar bleiben. Das ist traurig und mit unendlichem Leid und Unverständnis verbunden. Aber es ist tröstlich, zu wissen, dass es keine radikale politische Organisation und kein Einzeltäter je geschafft haben, mit solchen Aktionen ihre politische Basis zu verbreitern.»
«Aargauer Zeitung» / «Nordwestschweiz»: «Ihr wichtigstes Ziel haben die IS-Mörder (noch) nicht erreicht: Dass die Menschen in der zivilisierten Welt aus Angst vor dem Terror ihren Lebensstil ändern. Deshalb werden sie weiter bomben, weiter töten. Darauf müssen wir uns einstellen. Es sei denn, es gelingt, den IS zu vernichten. Mit militärischen Mitteln ist das freilich nicht zu erreichen. Denn die Wurzeln des Terrors in der islamischen Welt liegen im Zusammenbruch der staatlichen Strukturen. Syrien, Libyen und Jemen sind heute ‹failed states›, gescheiterte Staaten, in denen der Islamismus gedeiht. Namentlich im Irak, in Libyen, aber auch in Afghanistan sind die militärischen Interventionen des Westens dafür mitverantwortlich. Deshalb scheut der Westen davor zurück, den IS mit Bodentruppen zu bekämpfen. Es ist ein Teufelskreis: Greift man militärisch ein, gibt man den islamistischen Terroristen neue Nahrung. Der Westen ist in diesem Teufelskreis gefangen.»
«Der Bund»: «Dass viele Politiker nach der Ermordung von über 120 Menschen die Sicherheit verbessern wollen, ist richtig. Immer effizienter nutzen Terroristen etwa die Möglichkeiten des Internets – da ist es unverständlich, dass zum Beispiel in der Schweiz dem Geheimdienst immer noch nicht erlaubt ist, bei Verdacht in Computer einzudringen. Wenn mehr Überwachung mehr Sicherheit bringt und die Überwacher ebenfalls kontrolliert werden, ist nichts gegen neue Methoden einzuwenden. Aber nicht alle Verdächtigen lassen sich rund um die Uhr überwachen, ebenso wenig kann man alle Menschen, die sich im öffentlichen Raum vergnügen, jederzeit beschützen: Niemand will so viel Geheimdienst und Polizei finanzieren, niemand so viel Freiheit verlieren.»
«Berner Zeitung»: «Wie gross die grösstmögliche Sicherheit ist und was alles dafür getan werden muss – darüber wird in den nächsten Wochen und Monaten viel diskutiert und gestritten werden. In ganz Europa, aber auch in der Schweiz. Verteidigungsminister Ueli Maurer forderte gestern bereits Grenzkontrollen und ausgebaute Mittel für den Nachrichtendienst. Beides ist diskussionswürdig. Und natürlich wird auch die Frage nach dem Umgang mit dem aktuellen Flüchtlingsstrom Europa weiter umtreiben. Selbst wer anerkennt, dass die Menschen aus Syrien und dem Irak nicht ohne Not flüchten, muss eingestehen, dass mit genügend Betten und Essen für alle Ankommenden die Sache nicht erledigt ist. Wenn sich Einwanderer nicht minimal integrieren in die Gesellschaft ihrer neuen Heimat, drohen Parallelgesellschaften.»
«Basler Zeitung»: «Die Schuldfrage ist obsolet geworden, die Zeit des Debattierens ebenso, weil jetzt Krieg herrscht, einer, bei dem die Opfer bewusst Zivilisten sind. Es ist ein Krieg, den Europa und die USA annehmen müssen, wenn wir und unsere Werte überleben sollen. Es ist Zeit, aus der Lethargie des Gutgläubigen, Schöngeredeten und Ängstlichen aufzuwachen. Das ‹Love, Peace and Happiness› der offenen Grenzen war hübsch und etwas Selbstverliebtes, auf lange Sicht gesehen ist es fatal.»
«Neue Luzerner Zeitung»: «Besiegen lässt sich das Islamische Kalifat nur, wenn seine dschihadistische Staatsbasis zerstört, sein mesopotamisches Herrschaftsgebiet erobert und sein Steinzeit-Islam ideologisch ausgetrocknet wird. Spätestens seit der Mordnacht von Paris dürfte der zivilen Welt in Ost und West, in Orient und Okzident klar geworden sein, dass sie dieser Mixtur aus religiöser Verblendung, globalem Zivilisationshass und militärischer Präzision weitaus härter entgegentreten muss als bisher. Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck spricht sogar von einer neuen Art von Krieg. Von dessen Dimensionen bekam die Menschheit in den vergangenen Wochen eine schreckliche Vorahnung.»
«Südostschweiz»: «Europa werde ab sofort nicht mehr derselbe Kontinent sein, werde sich für immer verändern. Die offenen, auf der Respektierung und dem Schutz der Freiheits- und Bürgerrechte jedes Einzelnen aufgebauten Gesellschaften des Westens stünden auf dem Prüfstand. Solches und Ähnliches ist seit den barbarischen Terrorakten in Paris vom Freitag da und dort zu lesen. Wenn dies aber die Reaktion einer europäischen – oder westlichen – ‹Wertegemeinschaft› auf die Bluttaten einer Handvoll Terroristen ist, dann ist es eine schwache, ja eine feige Reaktion. Eine Reaktion, die einen erschreckenden Mangel an Selbstbewusstsein offenlegt. Und obendrein einen erschreckenden Mangel an Bewusstsein dafür, was jede und jeder Einzelne von uns unserer freiheitlichen Ordnung zu verdanken hat. … Im Namen der Sicherheit nun Rechte infrage zu stellen und Werte über Bord zu werfen, wäre eine schändliche Kapitulation. Eine Kapitulation letztlich vor Barbaren.»
«Schaffhauser Nachrichten»: «Es greift zu kurz, die Angriffe allein mit dem Versagen der französischen Nachrichtendienste zu erklären, denn Fanatikern wird es immer möglich sein, in einer freiheitlichen Gesellschaft Wehrlose zu ermorden. Statt uns mit den immer gleichen Bekenntnissen zu Toleranz und Frieden aus der Verantwortung zu stehlen, müssen wir der Tatsache ins Gesicht sehen, dass wir angegriffen werden: Luftschläge gegen den IS werden nicht ausreichen, es wird Bodentruppen einer internationalen Koalition brauchen, um diese Bedrohung zu zerschlagen. Gleichzeitig müssen wir damit rechnen, dass mit den vielen Flüchtlingen, die an Leib und Leben bedroht sind und unseres Schutzes bedürfen, auch Terroristen heimlich über unsere Grenzen gelangen wollen: Die behördlichen Grenzkontrollen müssen verstärkt werden.»
«Der Landbote»: «Die Vertreibung des IS aus Syrien und Irak allein wird dem Nahen Osten keinen stabilen Frieden bringen. Die anschliessende Versöhnung und der Wiederaufbau der von Bürgerkriegen gebeutelten Staaten muss auch Teil des Kriegs gegen den Terror sein. Die Schweiz hat die finanziellen Möglichkeiten und die diplomatische Erfahrung dazu. Sie muss sich viel stärker als heute – und vor allem unabhängig eigener wirtschaftlicher Interessen – in diesen Prozess einbringen. Auch im Innern muss die Schweiz aktiver werden. Sollte die Polizei tatsächlich nicht über ausreichend Mittel zur Erfüllung ihres Sicherheitsauftrags verfügen, wie verschiedentlich moniert wird, sind Korrekturen zu diskutieren.» (awp/mc/ps)