Bern – Die Schweizer Wirtschaft wächst seit einigen Quartalen nur unterdurchschnittlich. Dabei ist eine klare Zweiteilung zu sehen: Während der Dienstleistungssektor und der private Konsum rund laufen, stottern die Industrie und der Exportsektor weiterhin. Allzu viel dürfte sich dabei in kurzer Frist nicht ändern.
Das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) legte im ersten Quartal 2024 gegenüber dem Vorquartal um 0,3 Prozent zu, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am Donnerstag mitteilte. In den beiden Quartalen davor war das Wachstum ähnlich hoch. Ganz neu sind die Zahlen aber nicht: Das Seco hatte bereits vor zwei Wochen in einer Schnellschätzung 0,2 Prozent gemessen. Aufgrund aktualisierter Daten sei dieser Wert nun leicht nach oben revidiert worden.
Die Zahl ist zudem bereinigt um Sport-Events, unbereinigt betrug das Wachstum 0,5 Prozent: Die kurz bevorstehenden Grossanlässe wie die Fussball-EM in Deutschland oder die Olympischen Sommerspiele in Paris haben sich also bereits positiv auf das BIP im ersten Quartal ausgewirkt – vor allem Lizenzeinnahmen, welche den hierzulande ansässigen Sportverbänden zufliessen, dürften der Grund dafür sein.
Industrie schwächelt weiter
Im Berichtsquartal war vor allem die Wertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes, also der klassischen Industrie, leicht rückläufig (-0,2%). Eine leichte Expansion zeigte derweil der Bausektor (+0,3%) im Zuge steigender Umsätze im Hoch- und im Tiefbau. Als einziger industrieller Bereich wuchs die Energiebranche (+2,1%) sehr solide.
Massgeblich gestützt wurde das BIP-Wachstum vom Dienstleistungssektor, wenn auch bei einer gewissen Heterogenität zwischen den Branchen, wie das Seco betont. Während sich der Finanzdienstleistungssektor (-0,2%) oder der Bereich der unternehmensnahen Dienstleistungen (-0,3%) eher schwach entwickelte, legte die Wertschöpfung im Gastgewerbe (+1,3%), im Gesundheits- und Sozialwesen (+0,8%) oder in der öffentlichen Verwaltung (+0,2%) im jeweiligen historischen Durchschnitt zu. Der Detailhandel (+1,4%) stieg sogar historisch überdurchschnittlich stark an.
Auf der sogenannten Verwendungsseite – sie unterteilt in Konsum, Investitionen und Aussenwirtschaft – expandierte vor allem der private Konsum, der u.a. von der weiterhin tiefen Arbeitslosigkeit profitiert haben dürfte. Auch der Staatskonsum (+0,2%) zeigte einen, wenn auch geringen Zuwachs. Die Ausrüstungsinvestitionen (+0,8%) waren ebenfalls positiv, wobei vor allem in Fahrzeuge, EDV sowie in Forschung und Entwicklung mehr investiert worden sei. Der Aussenhandel trug derweil laut Seco in der Summe negativ zum BIP-Wachstum bei.
Insgesamt sind die Zahlen aber in etwa wie erwartet ausgefallen und Ökonomen sehen wenig Überraschendes. Das Bild einer zweigeteilten Wirtschaft widerspiegle sich auch in den Einkaufsmanager-Daten (PMI) der letzten Monate, in einem robusten Arbeitsmarkt oder einer schwachen Industrieproduktion im ersten Quartal 2024, meinte UBS-Ökonom Allessandro Bee.
Weiter unterdurchschnittliches Wachstum zu erwarten
Für Gero Jung von Mirabaud zeigt sich die Schweizer Wirtschaft dabei «im internationalen Vergleich weiterhin robust». Etwas weniger positiv sieht das Ökonom Klaus Wellershoff. Die BIP-Zunahme liege unter dem Bevölkerungswachstum, sagte er im Videointerview mit AWP. «Pro Kopf betrachtet, wachsen wir seit fast drei Jahren überhaupt nicht mehr.»
Dass sich am gegenwärtigen Wachstumspfad schnell etwas ändert, ist aus heutiger Sicht aber nicht zu erwarten – weder in die eine noch in die andere Richtung. Eher positiv zu werten sind die jüngste Stabilisierung der Industrie in diversen europäischen Ländern oder der zuletzt deutlich schwächere Franken. Auch die Exportzahlen zeigen gemäss den ebenfalls am Donnerstag publizierten Aprildaten eine Verbesserung.
Etwas in die andere Richtung weist das ebenfalls am Donnerstag publizierte KOF-Barometer, das für den Mai wieder eine leicht Eintrübung gegenüber dem Vormonat zeigt. Gegen eine schnelle Erholung sprechen auch die anhaltende Schwäche in gewissen Regionen (China u.a.) oder die anhaltenden geopolitischen Gefahrenherde Ukraine/Russland und Naher Osten, welche das Investitionsklima negativ beeinflussen können. Vieles spricht insgesamt für eine positive, aber weiterhin unterdurchschnittliche Wachstums-Performance, fasst es Alexander Koch von Raiffeisen zusammen. (awp/mc/ps)