Bern – Die Schweizer Wirtschaft ist im ersten Quartal im Vergleich zum Schlussquartal 2011 real um 0,7% gewachsen. Das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) hat sich damit deutlich besser entwickelt als allgemein von Konjunkturforschern prognostiziert. Wachstumsimpulse lieferten insbesondere der private und öffentliche Konsum. So stiegen die privaten Konsumausgaben im ersten Quartal um 0,6%, und der Staatskonsum expandierte um 2,0%, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am Donnerstag mitteilte.
Der Aussenhandel und auch die Bruttoanlageinvestitionen waren dagegen rückläufig. Der Investitionsrückgang um 1,5% ist hauptsächlich auf Ausfälle bei den Bauinvestitionen zurückzuführen. Diese fielen wegen der Kältewelle im Februar 5,0% tiefer aus als im Vorquartal. Die Warenexporte haben sich gemäss Seco-Statistik um 0,5% verringert. Vom Rückgang betroffen waren demnach alle Branchen. Demgegenüber stiegen die Dienstleistungexporte kräftig um 2,6%. Die Warenimporte nahmen um 2,0% zu, die Dienstleistungsimporte um 3,1%.
Rückläufige Wertschöpfung bei Industrie und Baugewerbe
Auf der Produktionsseite nahm die Wertschöpfung der Industrie und des Baugewerbes ab. Dagegen trugen Banken, Versicherungen, Immobiliengesellschaften, Informatikanbieter und weitere Dienstleister positiv zur Entwicklung des Schweizer Bruttoinlandproduktes (BIP) bei. Eine Wertschöpfungszunahme wurde auch für den öffentlichen Sektor und den Handel verzeichnet. Gegenüber dem Vorjahresquartal erhöhte sich das reale BIP um 2,0%. Insgesamt lagen die Erstquartalswerte deutlich über den Schätzungen. Diese gingen von -0,7% bis +0,2% für den Vorquartalswert bzw. von +0,1 bis +1,2% für den Vorjahreswert aus. Nach oben revidiert wurden auch die Zahlen für das vierte Quartal 2011. Sie lauten neu auf +0,5 (zuvor: +0,1)% zum Vorquartal bzw. +2,0 (+1,3)% zum Vorjahr.
Analysten positiv überrascht
Analysten zeigten sich (sehr) positiv überrascht von den Zahlen. Es scheine, dass die Schweiz vom Abwärtstrend, von dem Europa derzeit erfasst werde, verschont bleibe, meinte Sarasin-Ökonom Alessandro Bee gegenüber AWP. Das dürfte einerseits daran liegen, dass das hiesige Bankensystem sehr stabil sei. Andererseits habe der starke Franken nicht nur negative Effekte auf die Exporte, sondern auch sehr positive auf die Kaufkraft. Auch ZKB-Ökonom David Marmet sprach in einer Ersteinschätzung der Zahlen von einem überraschend starken BIP-Wachstum. Vor allem der Konsum sei sehr positiv ausgefallen, während die Werte bei den Exporten und Importen sich in etwa so entwickelt hätten wie erwartet.
Konsum von Krise in Europa unbeeindruckt
Laut den Analysten der VP-Bank zeigt sich der private Konsum weiter unbeeindruckt von der angespannten Situation in Europa. Die negativen Auswirkungen der Schuldenkrise machten sich insbesondere im Aussenhandel bemerkbar. Trotz der Verteidigung der Wechselkursuntergrenze durch die SNB sorge der konjunkturell bedingte Nachfragerückgang für einen negativen Wachstumsbeitrag aus dem Aussenhandel, heisst es in einem Kommentar. Dass die Investitionstätigkeit die hohen Vorgaben aus dem Vorquartal nicht mehr wiederholen konnte, sei abzusehen gewesen. Die rege Bautätigkeit aufgrund der günstigen Zinssituation dürfte aber anhalten und die Investitionen stützen.
Widersprüchliche Vorlaufindikatoren
Allerdings äusseren sich die VP-Ökonomen vorsichtig bezüglich der weiteren Entwicklung. Die Vorlaufindikatoren würden derzeit ein widersprüchliches Bild der künftigen Wirtschaftsentwicklung in der Schweiz zeichnen. Die erneute Verschärfung der Schuldenkrise berge erhebliche Risiken – auch für die hiesige Wirtschaft. Ohne weitere Eskalation, beispielsweise in Form eines ungeordneten Austritts Griechenlands aus der Eurozone, dürften die realwirtschaftlichen Folgen aber gering bleiben. Mit hohen Wachstumsraten sei aber in den nächsten Quartalen nicht zu rechnen. (awp/mc/upd/ps)