Bern – Der Vorstand des Schweizerischen Gewerbeverbandes sgv hat an seiner Sitzung vom 9. Juni 2023 entschieden, die Wahl von Henrique Schneider zum Direktor des sgv zu widerrufen. In diversen Medienberichten waren Plagiatsvorwürfe gegen Herrn Schneider vorgebracht worden. Der sgv liess diese Vorwürfe in der Folge durch die Anwaltskanzlei Bratschi abklären. Das Rechtsgutachten liegt nun vor und bestätigt ein «serienmässiges Plagiieren». «Für den sgv ist die Glaubwürdigkeit das höchste Gut. Daher hat sich der Vorstand nach eingehender Diskussion für diesen Schritt entschieden», sagt sgv-Präsident Fabio Regazzi.
Die «NZZ am Sonntag» hatte im März 2023 berichtet, dass Henrique Schneider seinen Lebenslauf geschönt haben soll und dass ein «begründeter Verdacht auf schwerwiegendes wissenschaftliches Fehlverhalten» (serienmässiges Plagiieren) vorliege. Die Plagiatsvorwürfe basieren auf einem Gutachten des österreichischen Plagiatsforschers Stefan Weber. Der Vorstand des sgv hat in der Folge Prof. Dr. iur. Isabelle Häner von der renommierten Anwaltskanzlei Bratschi beauftragt, die Vorwürfe in einem unabhängigen Rechtsgutachten zu untersuchen. Dabei hat die Anwaltskanzlei Bratschi die 65 angeblichen Textplagiate, den akademischen Werdegang, das unternehmerische Engagement und die wissenschaftliche Tätigkeit von Herrn Schneider unter die Lupe genommen. Zudem erhielt dieser die Gelegenheit, im Rahmen der Untersuchung Stellung zu beziehen.
In ihrem Gutachten kommt die Anwaltskanzlei Bratschi zu folgendem Schluss: «Nach Prüfung der 65 Textstellen ist festzuhalten, dass HS zwar ein u.U. wenig gravierender, aber dennoch bezüglich jeder einzelnen Textstelle der Vorwurf des Plagiats gemacht werden muss.» Und im Fall des anlässlich seiner Bewerbung als Direktor des sgv eingereichten Lebenslaufs lautet das Fazit des Gutachtens: «Die aufgeführten Angaben sind schlüssig und nachvollziehbar. Eigentliche Falschangaben konnten keine eruiert werden. Auch von einer eigentlichen Schönung des Lebenslaufs kann nicht die Rede sein, zumal HS etwa sein Doktorat nicht einmal aufführt.» In einer arbeitsrechtlichen Beurteilung stuft die Anwaltskanzlei Bratschi das serienmässige Plagiieren als klares Fehlverhalten und als Treuepflichtverletzung ein. Diese sei aber nicht gravierend, da es sich beim sgv nicht um einen «wissenschaftlichen Tendenzbetrieb» handle.
Der Vorstand des sgv hat das Gutachten der Anwaltskanzlei Bratschi eingehend diskutiert und entschieden, die Wahl von Henrique Schneider zum Direktor des sgv zu widerrufen. Fabio Regazzi, Präsident des sgv: «Auf der einen Seite steht der grosse, überzeugende Leistungsausweis von Henrique Schneider. Er hat sich im sgv sehr verdient gemacht. Auf der anderen Seite geht es um die Glaubwürdigkeit und den Ruf des Verbands nach innen und nach aussen. Diese ist unser höchstes Gut. Der Vorstand des sgv bedauert den Entscheid sehr, hält ihn aber für notwendig, da wir die Glaubwürdigkeit des sgv nicht gefährden dürfen.»
Henrique Schneider bleibt bis auf Weiteres stv. Direktor des sgv. Der Vorstand wird nun über das weitere Vorgehen beraten und die Nachfolgesuche für den per 1. Juli 2023 altershalber zurücktreenden Direktor Hans-Ulrich Bigler in Angriff nehmen.
Die Gewerbekammer des sgv hatte Henrique Schneider an ihrer Versammlung vom 8. Februar 2023 zum neuen Direktor gewählt. Da der Fall einer Abberufung in den Statuten nicht geregelt ist und aufgrund der hohen zeitlichen Dringlichkeit hat der Vorstand des sgv in dieser Frage entschieden und die Gewerbekammer anschliessend statutenkonform informiert (Statuten sgv, Art. 21). (sgv/mc/ps)