SMG: Wie Wissenschaft die Welt und Manager die Unternehmen retten können
Zürich – Einzigartige Unternehmerinnen und Unternehmer aus der globalen Wirtschaft trafen sich zum 55. Forum der Schweizerischen Management Gesellschaft (SMG) in Zürich. Die Konferenz mit knapp 300 Teilnehmern widmete sich dieses Jahr dem Thema „Losing touch?“ (Kontakt verlieren) und reflektierte, wann die Bodenhaftung weg ist und wie man das verhindert.
Ilaria Venturini Fendi: «Hochwertiger Luxus aus nachhaltigen Produkten kombiniert mit sozialen Projekten ist kein Widerspruch.»
Die Modeunternehmerin, Designerin und Biobäuerin hat einen Bruch mit der Schnelllebigkeit für mehr Nachhaltigkeit vollzogen. Ilaria Venturini Fendi stammt aus der berühmten Fendi-Familie. Das Modeunternehmen wurde 2001 an den LVMH Konzern verkauft, 2003 schied sie selber aus. Rückblickend störte sie, dass alles immer schneller ging: «Heute sind Kollektionen schon out of date kaum werden sie lanciert. Die Globalisierung tat das ihre dazu – zusammen mit der Finanzwelt, die mit der Mode zusammenwuchs.» 2006 gründete sie Carmina Campus und produzierte fortan zwar immer noch Mode, aber neu als nachhaltige Produkte gepaart mit sozialen Projekten. Sie konnte ihr altes Handwerk wieder aufnehmen – aber mit anderen Perspektiven und einem anderen Sinn. So werden heute die Produkte aus wiederverwendeten Materialien unter anderem in Afrika oder italienischen Gefängnissen hergestellt. «Hochwertiger Luxus aus nachhaltigen Produkten kombiniert mit sozialen Projekten ist kein Widerspruch.» Daraus entstehen ethische Produkte. Das ist «not charity, just work» betont die Unternehmerin.
Kamila Markram: «Wir müssen Wissenschaft öffentlich zugänglich machen.»
Kamila Markram ist Mitbegründerin und CEO von Frontiers sowie Neurowissenschaftlerin und Autismus Forscherin an der ETH Lausanne. Sie ist überzeugt, dass Wissenschaft Leben rettet. Die Wissenschaft habe das Leben immer wieder positiv beeinflusst. So wurden zum Beispiel 1,1 Milliarden Menschenleben durch Bluttransfusionen gerettet. Heute gebe es acht Millionen Forscher auf der Welt. Es würden immer wieder neue Entdeckungen gemacht. Die schlechte Nachricht sei, dass dieser Zyklus blockiert ist durch die Art wie Forschungsergebnisse publiziert würden: Von den jährlich 2,4 Millionen Forschungspapieren seien 80% bis 90% hinter Bezahlschranken verborgen. Forscher selber kriegen keinen Zugang zu diesen Wissenschaftsjournalen. Diese haben ein Embargo von einem Jahr. Das führt zu 2,4 Millionen Jahre Verzögerung, die dadurch verursacht werden.
Damit dem ein Ende gesetzt wird, wurde Frontiers als Open Science Plattform gegründet. Alle haben weltweit Zugang zu diesen Daten. Sponsoren und die Universitäten zahlen, damit die Papiere öffentlich publiziert werden. Diese werden auch rezensiert. Frontiers beschäftigt heute 444 Angestellte in sieben Ländern. Dazu 90’000 Schreiber und Rezensenten, die als Teilzeiter mitarbeiten. Mit der Plattform sollen laut Kamila Markram die vier Herausforderungen der Welt gelöst werden: die 20’000 noch nicht geheilten Krankheiten, Lebensmittel für alle Menschen, genügend Energie für alle Menschen und ein gesunder Planet. Es gebe Hoffnung sagt Kamila Markram: «Die Wissenschaft hat die Erde schon mehrmals gerettet. Der immense Fortschritt wurde trotz stark eingeschränktem Zugang zu Daten erreicht. Was wir machen müssen, ist die Wissenschaft öffentlich zugänglich machen. Das sollte zu einer Innovationsbeschleunigung führen.»
Richard Coles: «Werte, die Menschen zu Resilienz und Nachhaltigkeit führen, sollen im dynamischen Wandel Stabilität verleihen.»
Reverend Richard Coles ist heute Pfarrer und BBC-Radiosprecher. In seiner Jugend war er Mitglied der Pop-Band «The Communards», die mehrere Top-10-Hits produzierte – darunter mit „Don’t Leave Me This Way“ auch die meistverkaufte Single der UK-Charts von 1986. Es war ein unüblicher Werdegang zum Pfarrer der anglikanischen Kirche. Es war für ihn Reise zurück zu den eigenen Ursprüngen. Im Alter von 40 trat er in ein Kloster ein. Er wollte die Ängste und Bedürfnisse der Menschen kennenlernen. «Dies ist der Ort, um die grossen Lebensfragen anzugehen.» Zum Thema «Losing touch» mit traditionellen Werten und ob Geld die neue Religion sei, sagte er: «Ich glaube nicht Geld ist eine neue Religion. Geld ist ein Instrument, das positiv oder negativ eingesetzt werden kann.» Das Geschäftsmodell der Kirche sei nicht falsch, es sei gar kein Geschäftsmodell. Er will die Kirche von innen heraus verändern. «Die Kirche stellt das Traditionelle und Konservative dar, hat aber auch sehr wichtige Botschaften. Werte, die Menschen zu Resilienz und Nachhaltigkeit führen, sollen im dynamischen Wandel Stabilität verleihen.»
Risto Siilasmaa: «Wir haben uns über das Verhalten unterhalten, das möglichst erfolgreiche Rahmenbedingungen schafft.»
Risto Siilasmaa ist seit 2012 Verwaltungspräsident von Nokia Corporation. Dem Verwaltungsrat gehört er seit 2008 an und hat daher die ganze Krise des finnischen Unternehmens erlebt. «Connecting people» war der langjährige Slogan des Technologie-Konzern Nokia, bis es seine Weltmarktführerschaft verlor. Das Unternehmen ist schon 150 Jahre alt. Es stellte auch Fernsehen, PC, Pneus und Reinigungstücher her. 2008 hatte Nokia einen Marktanteil von 50 Prozent am globalen Mobilfunk.
Als Risto Siilasmaa 2012 Präsident von Nokia wurde, erlitt das Unternehmen einen Verlust von zwei Milliarden pro Jahr. Man prognostizierte schon das Datum des Konkurses. Heute ist Nokia ein anderes Unternehmen. Durch die ganze Transformation wurden äusserst viele Verwaltungssitzungen geführt. Risto Siilasmaa: «Durch die starke gemeinsame Arbeit entstand neues Vertrauen. Wir haben uns über das Verhalten unterhalten, das möglichst erfolgreiche Rahmenbedingungen schafft.» Es wurden vom Verwaltungsrat «goldene Regeln» erarbeitet, zum Beispiel: «Eine Vorstandssitzung, bei der wir nicht laut lachen, ist ein erbärmliches Scheitern.» Risto Siilasmaa hat ein Buch geschrieben, damit auch alle Mitarbeitenden sehen konnten, welche Fehler begangen wurden. Nokia lebt heute Open Space und eine Open Door Policy.
Bernard «Bernie» Ecclestone: «Menschen vertrauen ist einfach, wenn sie tun, was sie sagen.»
Bernard «Bernie» Ecclestone war während 40 Jahren Formel-1-Chef. Ein Entrepreneur «by instinct«. Nach seinem Berufseinstieg bei einer Gas-/Benzingesellschaft verkaufte er später Motorräder und etablierte das grösste Verteilernetz für Motorrad- und Autohersteller in Kent. Er diversifizierte in Immobilien und begann seine Beteiligung am Motorradrennsport. Seit seinem 16. Lebensjahr fuhr er Motorradrennen, später dann Autorennen. Dann führte er das Lotus-F2-Team und kaufte später das Connaught Formel-Eins-Team und Brabham. 1972 übernahm er quasi die Formel Eins und verkaufte 1987 Brabham, um sich ganz der kommerziellen Entwicklung des Sports zu widmen. Er verwandelte eigenhändig die Formel 1 von einem teuren Hobby für wohlhabende Rennfahrer in das globale, Multi-Milliarden Dollar schwere Geschäft und beliebteste jährliche Sportereignis der Welt, das sie heute ist.
Rückblickend erlebte er sein Leben opportunistisch: «Ich kümmere mich nicht, was nächste Woche ist. Ich behandle Dinge, wenn sie da sind und nehme die Opportunitäten war.» Auch würde er nichts anders machen: «Ich bereue nichts. Ich überlege mir immer gleich von Beginn, ob es das Wert ist.» Man müsse sich selber verstehen, mit beiden Füssen auf den Boden bleiben und das Beste aus sich herausholen: «Das bedeute auch normal bleiben. Was immer ich organisierte, legte ich selber Hand an.» Den Rücktritt nach so langer Zeit erlebte er als einfach: «Ich wurde entlassen.» Es sei ihm leicht gefallen, anderen Menschen zu vertrauen: «Das ist einfach, wenn sie tun, was sie sagen.» Zur Zukunft erklärte er: «So lange ein Sport die Zuschauer unterhält, wird er überleben.»
Wie man künftig persönlich verbunden bleibt
«Losing touch» sei nichts Neues, es wurde nur häufig verdrängt, erklärt Wolfgang J. Pfund, Leiter Personal und Logistik Suva. Chefs hätten Mitarbeitende um sich geschart und meinten dann, sie seien in gutem Kontakt und einer Beziehung. Pfund: «Es besteht eine grosse Chance, ehrlicher zu werden. Das Thema in Beziehung sein ist das Thema von morgen.» Dazu gehöre zum Beispiel, die Pausenkultur nicht zu verlieren. Aber auch zu streiten ohne zu verletzten sei ein wichtiger Teil der Beziehung. – Emotionen zulassen, greifbar, spürbar werden, dazu stehen, wenn es nicht so gut geht.
«Kunden sind immer flexibler und wollen immer neue Sachen haben. Dann erleben die Firmen, dass die Mitarbeitenden aus verschiedensten Gründen neue Bedürfnisse und Werte haben», sagt Thomas Vollmoeller, CEO XING und Vorstandsvorsitzender der kununu GmbH. Er plädiert dazu, den Wechsel zu umarmen, Veränderungen positive zu sehen und selber aktiv zu gestalten.
«Losing touch» hat viel mit Vertrauen zu tun, weiss Antoinette Weibel, Ordentliche Professorin für Personalmanagement an der Universität St. Gallen. Die Unternehmen rutschen eher in Richtung Misstrauen, weil das Management stark an (Erfolgs-)Zahlen glaubt. Da sei es ihre Aufgabe aufzuzeigen, wie viel Geld man verlieren kann, wenn das Vertrauen fehlt. Sie empfiehlt Bescheidenheit und Zuhören können, auf den andern einlassen, pro-aktiv sein und sich einbringen. Leute anstellen, die widersprechen können und dürfen. (SMG/mc/hfu)