Zürich – Viele global tätige Unternehmen aus der Schweiz kämpfen immer noch mit Störungen in der Supply Chain. Wie schaffen sie mehr Resilienz und Transparenz im Netzwerk, damit künftige Bedrohungen ihren Schrecken verlieren? Beim Rethink-Event in Zürich gaben Experten von Staufen.Inova, On, Inform und Flyer wichtige Denkanstösse.
„Wir sind keine Hellseher, aber die Welt wird nicht einfacher, sondern komplizierter. Wir müssen uns auf globale Störungen in der Supply Chain einrichten“, so Thomas Spiess, Senior Manager bei Staufen.Inova. Zu Beginn der Veranstaltung im Hauptsitz der On AG, dem On Labs in Zürich, zeigte er den rund 70 Gästen, wie schnell schwache Supply Chains von negativen Ereignissen erschüttert werden und wie langsam sie sich davon erholen. Das Beispiel des Sportartikelherstellers On belegt dagegen, wie man trotz vielfältiger Krisen wachsen kann. Das Unternehmen hat sich innerhalb weniger Jahre vom Schweizer Start-up zum Global Player entwickelt. „Gute Produkte sind die Basis, dazu kommen Kommunikation und Marketing. Aber das alles haben viele andere Unternehmen auch. Der Unterschied liegt im Supply Chain Management und in der Sales- und Operations-Planung“, sagt Jürg Hodel, Co-Geschäftsführer bei Staufen.Inova. Während des Rethink Events beschrieb das On-Team, wie sie das Management ihrer Supply Chain kontinuierlich anpassen, um schnell auf Veränderungen und Schocks reagieren zu können.
Globale Planung, regionale Ausführung
Seit seiner Gründung im Jahr 2010 ist On rasant gewachsen. Heute arbeitet das Unternehmen mit 25 Zulieferern aus Südostasien und Europa zusammen und unterhält 11 Zentrallager weltweit. Die Produktion von Schuhen, Bekleidung und Accessoires und deren Auslieferung an die Kunden stellt enorme Anforderungen an das Supply Chain Management, um Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht zu halten. „Bei der Planung ist alles auf den Moment ausgerichtet, in dem ein Produkt auf den Markt kommt. Wir fangen beim Kunden an und hören beim Kunden auf“, sagt Hannes Frei, Sales & Operations Planning.
Zu den Aufgaben des Global Sales & Operations Planning Teams gehört es unter anderem, dafür zu sorgen, dass die Ware bis zur grossen Produkteinführung in den Zentrallagern vorrätig ist. Für die globale Ausrichtung des Unternehmens blickt das Team in monatlichen Meetings auf die kommenden 18 Monate und trifft die notwendigen Entscheidungen. „Mit dem rasanten Wachstum und der steigenden Zahl der Mitarbeitenden konnten wir das Unternehmen nicht mehr allein von der Schweiz aus global steuern, da wäre uns alles um die Ohren geflogen“, erklärt Manuel Wegmann, Head of Operations APAC. „Als Matrixorganisation sind wir heute näher am Geschehen.“ Ist die Ware in den Lagern angekommen, übernehmen die regionalen Sales & Operations Teams. „In der Region findet sozusagen die Feinplanung statt. Die Teams kümmern sich um die vollständige und termingerechte Auslieferung an den Kunden“, ergänzt Samuel Frei, Head of Operations EMEA. Der ständige Informationsaustausch zwischen den Teams und der einfache Zugriff auf die notwendigen Daten ermöglichen es, den Bedarf an Produkten abzuschätzen, Risiken zu minimieren und schnell auf Störungen zu reagieren.
Fehlende Daten erschweren Planung
Der E-Bike-Hersteller Flyer hat mit seiner Supply Chain in den vergangenen Jahren eine wahre Achterbahnfahrt erlebt. Es begann mit dem E-Bike-Boom zu Beginn der Pandemie: „Im Homeoffice wollte sich plötzlich jeder an der frischen Luft bewegen“, sagt Marco Furter, Chief Operating Officer bei Flyer. „Die Bestellungen gingen durch die Decke.“ Doch aus Angst, die Nachfrage nicht befriedigen zu können, bestellten die Händler viel mehr E-Bikes und die Hersteller mehr Komponenten als benötigt. In der Folge explodierten die Lieferzeiten auf 12 Monate für einen E-Bike-Rahmen und 24 Monate für Schaltgruppen. Die Nachwirkungen des so genannten Bullwhip-Effekts spürt die Branche bis heute: Die Lager der Händler sind prall gefüllt.
Gemeinsam mit Staufen.Inova optimiert der Hersteller aktuell seine Supply Chain. Marco Furter: „In der Bike-Branche ist es üblich, jedes Jahr neue Modelle auf den Markt zu bringen. Nach Corona orientieren wir uns jedoch stärker an der Automotive-Branche und bieten nun sogenannte Generationenmodelle an, die mehrere Jahre auf dem Markt sind.“ Ein neu etabliertes Product Lifecycle Management soll einen Ausblick auf die nächsten 36 Monate geben. Doch es bleibt schwierig: „Je weiter wir in die Zukunft schauen, umso nebliger wird die Sicht, weil uns die nötigen Daten fehlen“, so Furter. Bis 2025, so hofft man bei Flyer, wird sich der Bike-Stau endlich aufgelöst haben.
KI wird zum Muss in der Planung
Künstliche Intelligenz (KI) nutzen weder On noch Flyer bisher für Prognosen in der Supply Chain, beide sind aber offen für die neue Technologie. Dr. Marco Schmitz vom Softwareanbieter Inform zeigte an einem Beispiel aus der Automobillogistik, wie eine bilderkennende KI zum Werkzeug für Bedarfsprognosen wird: Vogelkot verursachte bei Neufahrzeugen erhebliche Lackschäden, wenn die Autos auf Parkplätzen für den Weitertransport abgestellt wurden. Statt Millionen in die Folierung der Fahrzeuge zu investieren, setzt das Unternehmen auf KI. Eine mit einem Bilderkennungsprogramm ausgestattete Drohne sucht nun nach verschmutzen Fahrzeugen. Aus den Bildern der „Treffer“ werden dann Arbeitsaufträge generiert, was deutlich günstiger ist. KI kann aber auch für Lieferprognosen eingesetzt werden. Dr. Marco Schmitz: „KI ist ein mächtiges Werkzeug, das für unterschiedliche Use-Cases genutzt werden kann. Es kommt immer auf die richtigen Daten an, denn eine KI kann nur das, worauf sie trainiert wurde.“ Im Anschluss an die Vorträge diskutierten die Teilnehmenden unter anderem über den Einsatz von KI in der Supply Chain. Ihre einhellige Meinung: KI ist ein Muss in der Planung, um die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. (Staufen.Inova/mc/ps)