Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici.
Bern – Das umstrittene Erbschaftssteuerabkommen zwischen der Schweiz und Frankreich ist unterzeichnet. Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf und ihr französischer Amtskollege Pierre Moscovici setzten am Donnerstag in Paris ihre Unterschriften unter den Vertrag. Das Abkommen verbessere die Transparenz und verhindere, dass manche weder in Frankreich noch in der Schweiz besteuert würden, sagte Moscovici bei der Unterzeichnung. Widmer-Schlumpf stellte fest, die Schweiz hätte es bevorzugt, das alte Abkommen von 1953 beizubehalten. Dieses habe aber nicht mehr dem Willen Frankreichs entsprochen.
Die wichtigsten Neuerungen waren schon vor der Unterzeichnung bekannt. Frankreich will mit dem Abkommen verhindern, dass Erben in Frankreich sich der Erbschaftssteuer entziehen können, wenn der Verstorbene in der Schweiz wohnte.
Mehr Geld für Frankreich
Mit dem neuen Abkommen könnte der französische Fiskus Erben in Frankreich auch dann besteuern, wenn der Erblasser in der Schweiz wohnte und wenn Immobilien in der Schweiz betroffen wären. Zudem könnten Immobilien in Frankreich auch dann besteuert werden, wenn der in der Schweiz wohnhaft gewesene Erblasser diese nur indirekt besass, etwa über Anteile an einer Immobiliengesellschaft. Aus Sicht des Bundesrates wird die Steuerhoheit der Schweiz damit nicht tangiert: Die Schweiz bewahre ihr primäres Besteuerungsrecht, schreibt das EFD in einer Mitteilung. Eine in der Schweiz bezahlte Erbschaftssteuer werde angerechnet. Allerdings erheben die meisten Kantone keine Erbschaftssteuern von Ehegatten und direkten Nachkommen.
Besser als kein Abkommen
Als die Forderungen Frankreichs und die Pläne für das neue Abkommen vor rund einem Jahr bekannt wurden, hagelte es in der Schweiz Kritik. In der Folge führten die Schweiz und Frankreich Nachverhandlungen, doch änderte sich an den Kernpunkten nichts. Das Abkommen kann erst ratifiziert werden, wenn die Parlamente beider Länder zugestimmt haben. Sollten sich die Eidgenössischen Räte gegen das Abkommen aussprechen, könnte Frankreich den geltenden Vertrag aus dem Jahr 1953 kündigen. Damit würden Doppelbesteuerungen drohen. Der Bundesrat möchte dies vermeiden. Aus seiner Sicht ist das neue Abkommen einem vertragslosen Zustand vorzuziehen.
Dialog über andere Streitpunkte
Ausserdem hofft der Bundesrat, dank den Zugeständnissen an Frankreich eine Lösung für andere Streitpunkte zu finden. Widmer-Schlumpf und Moscovici hätten am Donnerstag einen Finanzdialog gestartet, schreibt das EFD. Dabei geht es insbesondere um die Amtshilfe in Steuersachen, die Regularisierung unversteuerter Gelder aus der Vergangenheit, die Pauschalbesteuerung sowie die Anwendung der Regeln zum Flughafen Basel-Mülhausen.
Arbeitsgruppe eingesetzt
Die Schweiz und Frankreich vereinbarten die Einsetzung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe, die im September ihre Arbeit aufnehmen soll. Im November will Widmer-Schlumpf Moscovici nach Bern einladen. In einer gemeinsamen Erklärung versprachen die beiden ferner, sich um eine zügige Behandlung des Erbschaftssteuerabkommens in den Parlamenten zu bemühen. In der Schweiz bleibt der Widerstand allerdings gross. Der Nationalrat hat in der Sommersession bereits indirekt Position bezogen: Er hiess eine Motion gut, wonach der Bundesrat verhindern soll, dass Schweizer Immobilien durch Drittstaaten besteuert werden. Der Bundesrat betont seinerseits, das Vorgehen Frankreichs stehe im Einklang mit internationalem Steuerrecht.
Acht Jahre in Frankreich
Die Nachverhandlungen hatten etwas strengere Bedingungen für den Zugriff der französischen Steuerbehörden gebracht. So muss der Erbe acht von zehn Jahren vor dem Tod des Erblassers in Frankreich wohnhaft gewesen sein, damit Frankreich sein Besteuerungsrecht ausüben kann. Das französische Recht schreibt nur sechs Jahre vor. Die Regeln für die indirekt gehaltenen Immobilien gelten ausserdem nur, wenn der Wert der Immobilien mehr als einen Drittel der gesamten Aktiven der Gesellschaft ausmacht. Weiter vereinbarten die Schweiz und Frankreich eine flexiblere Regelung für das Inkrafttreten.
Schritt zum automatischen Austausch»
Zum Abkommen gehört ein Zusatzprotokoll zur Amtshilfe in Steuersachen mit jenen Regeln, welche die Schweiz auch anderen Staaten gewährt hat. Das Ziel sei es, die Beschränkungen für Gruppenanfragen aufzuheben, sagte Moscovici dazu. Er fügte an, das Abkommen sei ein erster Schritt hin zur «Revolution», die ein automatischer Informationsaustausch darstellen würde. Widmer-Schlumpf rief die aktuelle Haltung des Bundesrates in Erinnerung: Die Schweiz wäre bereit, zum automatischen Informationsaustausch überzugehen, wenn dieser zum internationalen Standard würde und alle Finanzplätze sich daran hielten.
Nicht einig sind sich die Schweiz und Frankreich auch bei der Frage, ob Betroffene über die Eröffnung eines Verfahrens informiert werden müssen. Die Schweiz hält daran fest, Frankreich sieht darin ein Risiko. (awp/mc/upd/ps)