Bern – Die Wirtschaftsverbände Economiesuisse, Swissmem und Scienceindustries wollen mit fünf Grundpfeilern der drohenden Strommangellage in der Schweiz begegnen. Priorität haben soll dabei die Versorgungssicherheit. Die Laufzeit von AKWs soll überdacht und der Strommarkt vollständig geöffnet werden.
«Eine sichere, saubere und zahlbare Stromversorgung in der Schweiz ist in akuter Gefahr. Die Strommangellage ist zurzeit wohl das grösste wirtschaftliche Risiko für unser Land», stellte Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder am Mittwoch vor den Medien in Bern fest. Der Krieg in der Ukraine führe zusätzlich die Verletzlichkeit der Energieversorgung eindrücklich vor Augen.
Die drei Wirtschaftsverbände präsentierten fünf Pfeiler für eine sichere Stromversorgung. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten soll etwa ein Schwellenwert beim Stromimport im Winter von 10 Terawattstunden (TWh) definiert werden. Damit könne die Abhängigkeit vom Ausland begrenzt und das Stromsystem werde nicht überstrapaziert.
Zeichne sich mittel- bis längerfristig, d.h. in fünf bis acht Jahren, eine Überschreitung des Schwellenwerts ab, müssten die inländische Produktionskapazitäten frühzeitig erweitert werden, stellte Mäder fest. In den letzten Jahren lag der Importschwellenwert im Durchschnitt bei rund 4 TWh.
Neue Prioritäten und AKW-Laufzeitverlängerung
In der Energie- und Klimapolitik soll nach Ansicht der Verbände prioritär die Versorgungssicherheit mit Strom gewährleistet werden. Erst danach soll es darum gehen, Klimaziele zu erreichen und Natur- und Heimatschutzinteressen zu berücksichtigen. Alle Ziele seien zwar legitim, sagte Mäder. Gestrichen werden solle aber etwa das generelle Bauverbot für die Nutzung der Wasserkraft bei Gletschervorfeldern.
«Schweizer Unternehmen sind es sich gewohnt, dass es in ihren Produktionsanlagen in Entwicklungs- und Schwellenländern regelmässig zu Stromausfällen kommt», stellte Swissmem-Präsident Martin Hirzel fest. Dass die lückenlose Stromversorgung auch in der Schweiz nicht mehr sicher sein soll, sei bis vor Kurzem undenkbar gewesen.
Hirzel plädierte für eine «absolute Offenheit bezüglich der einzusetzenden Technologie». Der Bundesrat wolle hingegen bis 2030 ausschliesslich Speicherwasserkraftwerke zubauen.
Es werde ausgeblendet, dass die bestehenden Kernkraftwerke seit Jahrzehnten zuverlässig nahezu CO2-neutralen Strom lieferten. Wenn man deren Laufzeit von 50 auf 60 Jahre erhöhe, reduziere sich die Abhängigkeit von Stromimporten signifikant. Auch klimaneutrale Gaskraftwerke sollten sofort zu den Ausschreibungen für zusätzlichen Winterstrom zugelassen werden.
Vollständige Strommarkt-Öffnung
Um das Stromangebot sicherzustellen, müsse zudem ein innovatives Marktumfeld geschaffen werden. Hirzel forderte im weiteren eine vollständige Öffnung des Schweizer Strommarktes. Das sei die Voraussetzung für ein Stromabkommen mit der EU und die immer wichtiger werdende Integration in den EU-Strombinnenmarkt.
Die EU habe bisher ein Stromabkommen wegen des fehlenden institutionellen Rahmens kategorisch ausgeschlossen, aber der Ukrainekrieg könnte zu einem Umdenken führen, glaubt Hirzel. Das Interesse an einer verstärkten gesamteuropäischen Zusammenarbeit im Energiebereich sei grösser denn je. Die Schweiz könne beispielsweise mit ihrer Wasserkraft einen Beitrag leisten, um die Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland zu reduzieren.
Economiesuisse-Präsident Mäder stellte seinerseits fest, dass es wohl noch verfrüht sei, allzu viele positive Signale für ein Stromabkommen mit der EU zu sehen. Es sei aber auch nicht völlig vermessen, zu erwarten, dass sich Europa und die Schweiz darauf besinnen würden, wie sie im besten Interesse aller die Zusammenarbeit verstärken könnten.
Die Höhe des Strompreises ist laut den Wirtschaftsverbänden fundamental für Gesellschaft und Wirtschaft. Die weiteren Kosten für den Zubau müssten daher kostenneutral für die Endkunden sein, forderte Matthias Leuenberger, Präsident von Scienceindustries. Möglichkeiten dazu wären laut dem Branchenverband der Chemie-, Pharma- und LifeSciences-Industrien beispielsweise die Abschaffung der Marktprämie für Grosswasserkraftwerke oder die Senkung der Wasserzinsen.
Stromsparen soll sich lohnen
Schliesslich stellten die Wirtschaftsverbände fest, dass die Wirtschaft ihren Beitrag leisten wolle, damit sich Stromsparen lohne. Die Stromeffizienz solle durch «kluge Anreize» gestärkt werden.
Sehr erfolgreich sei etwa die Rückerstattung der CO2-Abgabe für Unternehmen, die sich zu Reduktionen verpflichteten, erklärte Leuenberger. Dieses Modell der Zielvereinbarungen könnte auf das Energiegesetz übertragen werden. Unternehmen, die sich zur Senkung ihres Stromverbrauchs verpflichteten, sollten den Netzzuschlag von 2,3 Rappen pro Kilowattstunde zurückerstattet erhalten. (awp/mc/pg)