Stromgesetz: «Nationales Interesse» hebelt Basisdemokratie aus. Verlierer: Die Alpenkantone und die Natur
Was in der Pandemie die «ausserordentliche Lage» war, soll für das Stromgesetz das «nationale Interesse» werden: Ein Mittel zum Durchregieren von oben nach unten, ein Machtzuwachs für den Bundesrat, entgegen dem Wunsch der lokalen Bevölkerung seine Ziele durchzusetzen. Während in der Pandemie die gesamte Bevölkerung betroffen war, sollen mit dem Stromgesetz vor allem Alpenkantone gezwungen werden, natur- und landschaftsbildzerstörende Wind- und Solarparks gegen ihren Willen zu akzeptieren.
Kommentar von Helmuth Fuchs
Primär die Stimmen der Stadtbevölkerung, welche in der Freizeit (noch) die Alpen- und Voralpenkulisse als Erholungsraum geniessen, dürften bei einer Annahme des Stromgesetzes (Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien) den Ausschlag geben. Zum einen, weil in den Ballungsräumen der grösste Energiebedarf herrscht, zum anderen weil die Anlagen weit weg aus ihrem Blickfeld entstehen und ihr grün bewusstes und optisches Wohlbefinden in denkmalgepflegten Stadtquartieren nicht beeinflussen.
Ganz anders sieht es in den betroffenen Gebieten aus. Rein ablauftechnisch können sich die Bürgerinnen und Bürger auf Gemeinde- und Kantonsebene in der Sache zwar noch äussern, der Bundesrat hat aber mit dem Totschlagargument des «nationalen Interesses» schon vorgesorgt, dass dem Energiebedarf im Streitfall alles unterzuordnen ist. Das ist auch für Gerichte ein klarer Hinweis, in welche Richtung zu entscheiden ist.
Solar auf versiegelten Flächen und Wasserkraft unbestritten
Während Solaranlagen auf versiegelten Flächen, also primär auf Dächern, Fassaden, Parkflächen oder Lawinenverbauungen und entlang von Autobahnen praktisch unbestritten sind und alleine diese Flächen den zusätzlichen Energiebedarf decken würden, besteht der Bundesrat darauf, auch alpine Solarparks gegen den Willen der lokalen Bevölkerung durchsetzen zu können, da diese im Winter einen höhere Leistung erbringen als Anlagen im Mittelland. Am wenigsten Akzeptanz und Leistungseffizienz besteht bei den Windanlagen. Statt diese gänzlich aus dem Gesetz und somit den Gegner den Wind aus den Segeln zu nehmen, besteht der Bundesrat auch hier unverständlicherweise auf seinem Machtanspruch.
Bundesrat gibt vor, Kantone haben umzusetzen, Bevölkerung wird im Bedarfsfall überstimmt
Die befürwortenden Bundesräte betonen, dass sie ja niemandem vorschreiben würden, wie die Energie zu erzeugen sei und alle demokratischen Mittel weiterhin angewendet werden können. Das ist zumindest eine ziemliche Beugung der Tatsachen. Im Gesetz werden klare Ziele vorgegeben und die den Kantonen zur Umsetzung weitergereicht.
«Die Produktion von Elektrizität aus erneuerbaren Energien, ausgenommen aus Wasserkraft, hat im Jahr 2035 mindestens 35 000 GWh und im Jahr 2050 mindestens 45 000 GWh zu betragen.» (Art. 2)
«Die Kantone sorgen dafür, dass insbesondere die für die Nutzung der Wasser- und Windkraft geeigneten Gebiete und Gewässerstrecken sowie die für Solaranlagen von nationalem Interesse nach Artikel 12 Absatz 2 geeigneten Gebiete im Richtplan festgelegt werden (Art. 8b Raumplanungsgesetz vom 22. Juni 1979).»
In meinem Wohnkanton Graubünden hat der Regierungsrat dies so umgesetzt, dass er in einem kantonalen Richtplan die möglichen Standorte für Windanlagen ausgewiesen und die Gemeinden zur Stellungnahme eingeladen hat. In meiner Wohngemeinde Lumnezia gab es schon einmal Pläne für einen Windpark in der Gegend um den Pez Sezner. Die Bevölkerung hat diese Pläne in einer Konsultativabstimmung 2019 klar abgelehnt mit der Begründung, die durch die Windräder gewonnene Energie stehe in keinem Verhältnis zur Zerstörung des Tals und der Umwelt. Das Projekt hätte 18 Windräder auf einer Höhe zwischen 2’000 und 2’500 Metern über Meer vorgesehen.
Nun wurde im Richtplan die Fläche für einen möglichen Windpark sogar zusätzlich vergrössert und so gelegt, dass die Sichtbarkeit über die ganze Landschaft erhöht würde. Die Gemeinderäte von Lumnezia, Vals und Obersaxen Mundaun, sowie dei wichtigsten Parteien (die Mitte, SVP, FDP) haben sich klar gegen die Windparkfläche im Richtplan ausgesprochen. Da die Nutzungspläne der Gemeinden angepasst werden müssten, käme die Bevölkerung zwar in den Genuss einer Abstimmung, im Falle, dass der Bundesrat aber dem Windpark ein “nationales Interesse» zugesteht, würde auch ein weiteres ablehnendes Resultat übergangen und müsste eingeklagt werden. Die zuständigen Gerichte haben schon klare Weisung, dass bei Gleichgewichtung der Interessen, die Energie Vorrang vor allen anderen hätte. Die Erfolgschancen der Bevölkerung und Verbände sind so schon zu Beginn eines Verfahrens arg kompromittiert.
Gesetze sind dauerhafter als die Amtszeiten und Versprechen von Politikerinnen und Politikern
Auch wenn Politikerinnen und Politiker nicht müde werden zu betonen, dass die Bevölkerung weiterhin Stellung nehmen könne und nationale Interessen nur ganz selten zum Zuge käme, ist wichtiger, was im Gesetzt verankert wird. Hier gibt es mit dem «nationalen Interesse» einen klaren Machtzuwachs für die Politik auf Kosten der Kantone, der Gemeinden, der Bevölkerung und der Umweltverbände.
«… Das nationale Interesse geht entgegenstehenden Interessen von kantonaler, regionaler oder lokaler Bedeutung vor.»
«Der Bundesrat legt für die Wasser-, die Solar- und die Windkraftanlagen die erforderliche Grösse und Bedeutung fest. …»
«Erkennt der Bundesrat einer Anlage ein nationales Interesse im Sinne von Artikel 12 zu, so kann der Bundesrat zudem beschliessen, dass die notwendigen Bewilligungen in einem konzentrierten und abgekürzten Verfahren erteilt werden.»
Da der Solarzubau auch ohne dieses Gesetz jedes Jahr höher ist als alle Schätzungen, braucht es dafür die zusätzliche Förderung durch das Gesetz nicht, für die Windenergie ist es reine Zwängerei, da diese in der Schweiz nie eine bedeutende Rolle spielen wird. Bleibt also die Wasserkraft. Für diese hat der Bundesrat schon 16 Projekte ausgeschieden, die im Wesentlichen unbestritten und nur von wenigen Verbänden blockiert werden.
Ein Gesetz für Energielieferanten und den Bundesrat statt für die Bevölkerung und die Natur
Das Gesetz hätte sich im Kern darauf beschränken können bezüglich Solarenergie marktfördernde Massnahmen wie die jetzt vorgesehene Verbrauchsgemeinschaften zu regeln und nötigen Wasserkraftprojekten zum Durchbruch zu verhelfen. Dann wäre es unbestritten und hätte genau das getan, was es eigentlich sollte: Erneuerbare Energie fördern und die Natur schützen.
Das vorliegende Gesetzt schütz vor allem die Interessen der Energielieferanten und sichert dem Bundesrat einen weiteren, unnötigen Machtzuwachs, während es weitere Naturreserven unnötigerweise der vermeintlich billigen Energie opfert.
Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien