Zürich – Apocalypse now für die Sunrise-Spitze: Der Kauf von Kabelnetzbetreiberin UPC für 6,3 Milliarden Franken ist in letzter Minute geplatzt. Der Widerstand der Sunrise-Aktionäre ist zu gross geworden.
Deshalb hat Sunrise die ausserordentliche Generalversammlung, auf der über die Finanzierung des Deals abgestimmt worden wäre, einen Tag vor deren Austragung abgesagt. Damit ist die grösste Übernahme der Schweizer Telekomgeschichte gescheitert.
Grund sei, dass eine deutliche Mehrheit der Aktionäre, die sich für die GV registriert haben, die zum Kauf nötige Kapitalerhöhung von 2,8 Milliarden Franken ablehne, schrieb Sunrise am Dienstag in einem Communiqué. Das Nein-Lager sei «klar grösser als 50 Prozent», sagte Finanzchef André Krause im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AWP, ohne genaue Zahlen zu nennen.
Die offenen Stimmen hätten das Mehrheitsbild nicht verändert, selbst wenn sie alle für die Kapitalerhöhung gewesen wären, sagte Krause. Sunrise hätte an der GV die Zustimmung von mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen gebraucht, um die Kapitalerhöhung durchführen zu können.
Entscheidender Schlag durch ISS
Damit hat sich in den letzten Tagen die Lage so zugespitzt, dass die Sunrise-Führung trotz aller Zugeständnisse und Mobilisierungsbemühungen das Ruder nicht mehr herumreissen konnte. Der entscheidende Schlag war die Nein-Empfehlung des einflussreichen amerikanischen Stimmrechtsberaters ISS. Diese habe den Trend verändert, sagte Sunrise-Chef Olaf Swantee.
«Das hat damit zu tun, dass viele passive Investoren den Empfehlungen der Stimmrechtsberater folgen. Wir hatten zwar die drei Stimmrechtsberater Glass Lewis, Ethos und zRating hinter uns, aber ISS hat sehr viel Bedeutung und ist sehr gross», sagte der Sunrise-Chef.
ISS habe die Nein-Empfehlung aufgrund eines Berichts abgegeben, der gravierende Fehler enthalten habe. Zwar habe ISS auf Intervention von Sunrise Fehler in dem Bericht korrigiert, aber die Empfehlung nicht geändert, sagte Swantee: Und die passiven Investoren würden halt weniger die Details im Bericht anschauen, sondern der Empfehlung folgen.
Freenet an Spitze des Widerstands
An der Spitze des Widerstands stand der grösste Sunrise-Aktionär, Freenet. Das deutsche Unternehmen, das 24,5 Prozent an Sunrise besitzt, ist nach anfänglicher Skepsis gegenüber dem Deal im August auf Opposition umgeschwenkt. Freenet-Chef Christoph Vilanek kritisierte den Kaufpreis und die dazu nötige Kapitalerhöhung als zu hoch. Auch die Struktur des Deals sei nachteilig für die Sunrise-Aktionäre.
Zudem sah er den strategischen Sinn der Übernahme nicht mehr. Wegen der neuen Mobilfunkgeneration 5G lohne sich der Kauf des UPC-Kabelnetzes für so viel Geld nicht. Dafür 6,3 Milliarden Franken auszugeben, sei «Irrsinn», hatte Vilanek erklärt. Ins selbe Horn stiess der aktivistische Aktionär Active Ownership Capital (AOC).
Enttäuschung bei Sunrise
Verwaltungsratspräsident Peter Kurer erklärte: «Wir bedauern die Annullation der GV. Wir haben viel Zeit in die Gespräche mit unseren Aktionären investiert und sind weiterhin von den strategischen und finanziellen Gründen der Übernahme überzeugt».
Das Scheitern sei enttäuschend, sagte Konzernchef Swantee: Mit dem Kauf von UPC hätte Sunrise ein eigenes Festnetz erworben und hätte die Kundenzahl auf einen Schlag verdoppeln können. Zudem hätte der Zusammenschluss Synergien von 280 Millionen Franken beschert. Sunrise wäre zu einer stärkeren Konkurrentin von Platzhirsch Swisscom geworden.
Nun macht Sunrise alleine weiter. Es gebe keine weiteren Verhandlungen mehr mit Liberty Global, sagte Swantee. Sunrise werde nicht mehr versuchen, die UPC-Besitzerin noch zu weiteren Zugeständnissen zu bewegen.
Das Gute sei, dass Sunrise eine sehr starke Standalone-Strategie habe, sagte Konzernchef Swantee: «Die werden wir jetzt weiterhin umsetzen. «Aber wir haben eine sehr starke Position in allen Marktsegmenten.» Sein Hauptfokus sei, sich in den nächsten paar Wochen mit dem Managementteam Gedanken zu machen, ob allenfalls noch Anpassungen an der langfristigen Strategie nötig seien, sagte Swantee.
Spekulationen um Abgänge
Auf die Frage, ob er oder andere Spitzenmanager jetzt das Unternehmen verlassen würden, sagte Swantee: «Es ist wichtig, dass wir jetzt da sind. Unser Fokus ist, die Firma zu stabilisieren und eine langfristige Strategie mit dem Managementteam umzusetzen.»
Allerdings nimmt die Nervosität um personelle Konsequenzen zu: Aktionär AOC vermeldete prompt: «Peter Kurer hat uns in einem Gespräch zugesagt, dass er bei einem Scheitern der Transaktion auch dann zurücktreten wird, wenn er nicht abgewählt werden sollte. Wir erwarten daher, dass er nun die folgerichtigen Konsequenzen zieht und als Verwaltungsratspräsident umgehend zurücktritt.»
Sunrise bestritt das umgehend: «Das dementieren wir. Kurer hat sowohl AOC als auch in Interviews gesagt, er gehe davon aus, dass er bei einer Ablehnung der Kapitalerhöhung abgewählt würde», sagte eine Sprecherin.
Millionenkosten für Scherbenhaufen
Damit ist ein erneuter Versuch in die Hose gegangen, im Schweizer Telekommarkt einen stärkeren Herausforderer für Branchenprimus Swisscom zu bilden. Die Eidgenössische Wettbewerbskommission (Weko) untersagte vor neun Jahren die geplante Fusion von Sunrise und Orange.
Es sei eine verpasste Gelegenheit, den Schweizer Telekommarkt zu konsolidieren, kommentierte die Bank Vontobel. Das Umfeld für ähnliche Transaktionen bei kleineren Anbietern dürfte dadurch nachhaltig ungünstig sein.
Die Kosten des Scherbenhaufens wollte Finanzchef Krause nicht beziffern: Man habe eine Abbruchsgebühr von 50 Millionen vereinbart, die fällig werde, wenn der Vertrag beendet werde. «Darüber hinaus sind Finanzierungs-, Beratungs- und Integrationskosten entstanden, die wir im Moment noch nicht abschliessend benennen können.» Diese Kosten hätten aber nicht die Grössenordnung, dass die Finanzlage von Sunrise in irgendeiner Form negativ beeinträchtigt würde.
Freenet-Chef Vilanek forderte die Rückkehr von Sunrise zum Tagesgeschäft. Sunrise solle sich darauf konzentrieren, Marktanteile zu gewinnen und die bisherige Übernahmekandidatin anzugreifen.
Personelle Konsequenzen aus dem Debakel für die Sunrise-Spitze forderte Vilanek keine: «Dazu ist jetzt nicht der Zeitpunkt. Jetzt muss Sunrise wieder Fahrt aufnehmen. Dazu braucht man die besten operativen Leute.» Über allfällige personelle Änderungen könne man sich unterhalten, wenn es in Richtung ordentliche Generalversammlung im nächsten Jahr gehe.
UPC hält sich bedeckt
UPC-Besitzerin Liberty Global hielt sich bedeckt, was sie mit ihrer Schweizer Tochter zu tun gedenkt, nachdem sie bereits Kabelnetzgesellschaften in einigen Ländern Europas für über 18 Milliarden Euro an den britischen Mobilfunker Vodafone verkauft hat.
UPC selber will weitermachen wie bisher. Man halte am Turnaroundplan fest und werde diesen weiterhin umsetzen, erklärte eine UPC-Sprecherin. Da habe UPC Fortschritte gemacht. (awp/mc/ps)