Swissgrid-CEO Pierre-Alain Graf.
Zürich – Die Netzgesellschaft Swissgrid sieht die Situation im Schweizer Übertragungsnetz weiterhin als kritisch an. Grund sind Kapazitätsengpässe und durchschnittlich 40 Jahre alte Leitungen. Ein allfälliger Atomausstieg bringe zusätzliche Unsicherheiten, hiess es am Dienstag bei der Jahresmedienkonferenz des Netzbetreibers.
Bis zum Jahr 2020 müssten laut Swissgrid rund 1’000 Kilometer Leitungen erneuert und ausgebaut werden, um die Stromversorgung zu sichern. In den vergangenen zehn Jahren seien aber in der Schweiz nur gerade 150 Kilometer Netze gebaut worden, betonte CEO Pierre-Alain Graf. Er veranschlagte die Kosten dafür auf bis zu 6 Mrd CHF. Trotz des Atom-Unglücks in Japan hat sich diese Summe gegenüber früheren Angaben nicht wesentlich verändert. Das Höchstspannungsnetz müsse unabhängig von einer energiepolitischen Wende erneuert und ausgebaut werden, sagte Graf. Nun gehe es aber um die Frage, ob und wie schnell Kernkraftwerke vom Netz gingen und an welchen Standorten die Ersatzenergie produziert und eingespiesen werde. Käme ein Grossteil von Gaskraftwerken im Süden des Landes, müssten die Überlandleitungen dort verstärkt werden. Importiere die Schweiz mehr Windenenergie aus Nordeuropa, bestehe dort mehr Bedarf, so Graf weiter.
Einsprachen blockieren Netzausbau
Die Netzstabilität wäre hierzulande noch nicht in Gefahr, wenn Frankreich oder Deutschland einige Atomkraftwerke abschalten würden, sagte Swissgrid-Verwaltungsratspräsident Peter Grüschow. Bei einem Aus für die alten Schweizer Kernkraftwerke binnen drei bis vier Jahren könne die Versorgungssicherheit zu Spitzenzeiten aber nicht mehr garantiert werden. Es sei in einem Zeitraum von acht bis zehn Jahren durchaus möglich, die Anforderungen für das Netz zu leisten, so die Verantwortlichen. Voraussetzungen dafür wären laut Swissgrid aber schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Zuletzt hätten zahlreiche Einsprachen den Netzausbau blockiert und die Verfahren dauerten bis zu 12 Jahre.
Viele Engpässe im Wallis
Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2010 musste die Netzgesellschaft bei Kraftwerken mehrfach die Produktion von Strom aus Wasserkraft einschränken. Gerade im Wallis, wo zahlreiche Wasserkraftwerke stehen, weist das Netz besonders viele Engpässe auf. Die Grenzwerte seien 2010 in 1312 Stunden überschritten worden, so der CEO. Swissgrid will auch den stärker vernetzten europäischen Strommärkte Rechnung tragen. In den nächsten Jahren würden wichtige strategische Entscheide gefällt, unter anderem zur Führung der neuen «Stromautobahnen» durch Europa, hiess es. Damit die neuen Leitungen nicht um die Schweiz herumführten, seien Stromabkommen essentiell.
Enteignung über Stromregulator ElCom vorbeugen
Bei der gesetzlich geregelten Übernahme des Übertragungsnetzes von den Stromkonzernen bis Anfang 2013 ist Swissgrid nach Angaben von Verwaltungsratspräsident Grüschow ein halbes Jahr im Rückstand. Die Mehrheit der Unternehmen, die auch Aktionäre an Swissgrid sind, hätten aber unterschrieben. Wünschenswert wäre es laut Grüschow, in diesem Sommer zu einer Einigung zu kommen – eine Enteignung über den Stromregulator ElCom wünsche sich schliesslich niemand. Strittig ist der Wert des Übertragungsnetzes, auch Gegenstand zahlreicher hängiger Verfahren zu den Netztarifen. Sämtliche Tarif-Vorgaben von Swissgrid seit 2009 seien noch in der Schwebe, führten die Verantwortlichen aus.
Gesamtleistung 2010 um knapp ein Viertel rückläufig
Die Gesamtleistung von Swissgrid ging 2010 um 23% auf 887 Mio CHF zurück. Dies aufgrund von Kostensenkungen bei der Beschaffung von Systemdienstleistungen. Der regulierte EBIT von 3,5 Mio CHF reduzierte sich im Gegensatz zum Vorjahr um fast 40%. Grund war die tiefere Verzinsung der für den Betrieb notwendigen Mittel. (awp/mc/ps)