Hans Hess, Präsident Swissmem.
Bern – Für die Landwirtschaft und die Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie sind die Bilateralen Verträge mit der EU unverzichtbar. Eine Annahme der SVP-Initiative «Gegen Masseneinwanderung» würde die Schweiz zur Kündigung der Personenfreizügigkeit zwingen. Beide Verbände sind überzeugt, dass eine Neuverhandlung niemals zu einem für die Schweiz günstigeren Abkommen führen kann. Aufgrund der rechtlichen Verknüpfung sämtlicher Abkommen der Bilateralen Verträge I besteht zudem die grosse Gefahr, dass diese als Gesamtes zu Fall kommen.
Ohne die Bilateralen I drohen beiden Branchen ein Arbeitskräftemangel sowie ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, was zwangsläufig auf Kosten des Wohlstandes der Schweiz gehen würde. Der Schweizer Bauernverband und Swissmem lehnen deshalb diese Initiative entschieden ab.
Initiative will Einwanderung durch Höchstzahlen und Kontingente begrenzen
Am 9. Februar 2014 stimmt die Schweiz über die SVP-Initiative «Gegen Masseneinwanderung» ab. Sie verlangt, dass die Einwanderung durch Höchstzahlen und Kontingente begrenzt wird. Damit würde künftig nicht mehr der Bedarf der Wirtschaft, sondern der Staat darüber entscheiden, welche Betriebe Anspruch auf ausländische Arbeitskräfte haben. Für die Landwirtschaft sowie die Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM-Industrie) brächte eine Annahme der Initiative eine einschneidende Beschränkung der Möglichkeit, dringend benötigte Arbeitskräfte auch aus der EU zu rekrutieren.
In der MEM-Industrie herrscht schon seit Jahren ein Fachkräftemangel. Dieser Befund wurde in einer Umfrage des Institutes BAKBasel einmal mehr bestätigt. In der MEM-Branche haben 75 Prozent der Firmen Schwierigkeiten, Fachkräfte zu rekrutieren. Mehr als jedes vierte Unternehmen in der MEM-Industrie (28 %) hat offene Stellen für Fachpersonal, die sie nicht besetzen können. Für 71 Prozent der MEM-Firmen ist deshalb die Rekrutierung von Fachspezialisten aus der EU wichtig bis unverzichtbar. Wie gefährlich diese Initiative ist, zeigt sich darin, dass 59 Prozent der befragten Unternehmen davon ausgehen, dass sich ohne Personenfreizügigkeit deren Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit vermindert. Die stark exportorientierte MEM-Industrie ist zur Innovation gezwungen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Dafür braucht sie Fachkräfte – auch aus Europa.
In der Schweizer Landwirtschaft sind rund 20’000 ausländische Arbeitskräfte beschäftigt, ein grosser Teil davon im Gemüsebau. Vor allem Betriebe mit arbeitsintensiven Kulturen sind auf diese Arbeitskräfte angewiesen, da sich für die anstrengenden, körperlichen Arbeiten nicht ausreichend Schweizerinnen und Schweizer gewinnen lassen. Bei Annahme der Initiative hätte die Landwirtschaft schlechte Karten, da die Gefahr besteht, dass wertschöpfungsstarke Branchen bei der Zuteilung von Arbeitskräften bevorzugt würden und vor allem qualifizierte Fachkräfte in die Schweiz kämen. Die produzierende Landwirtschaft und die Versorgung des Schweizer Marktes mit regionalen Frischprodukten würden mit der Annahme der Initiative gefährdet.
Die Bilateralen Verträge sind unverzichtbar
Der freie Personenverkehr gehört zu den vier Grundfreiheiten im europäischen Binnenmarkt. Es ist eine Illusion, anzunehmen, dass die EU in Bezug auf diese Grundfreiheit der Schweiz bei Neuverhandlungen bessere Konditionen gewährt als den eigenen Mitgliedstaaten. Dieses Ansinnen würde spätestens im Ratifikationsprozess in den 28 nationalen Parlamenten der EU scheitern. Die von der Initiative verlangte Kündigung des Freizügigkeitsabkommen würde wegen der «Guillotine-Klausel» automatisch zum Dahinfallen der anderen sechs Verträge der Bilateralen I führen. Für Swissmem und den Schweizerischen Bauernverband steht deshalb ausser Frage, dass die Annahme der Abschottungsinitiative das Ende der Bilateralen Verträge I bringen würde.
Neben der Personenfreizügigkeit sind für die MEM-Industrie das Abkommen über technische Handelshemmnisse, das Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen und das Forschungsabkommen von grosser Bedeutung. In ihrer Gesamtheit halten 85 Prozent der von BAKBasel befragten MEM-Unternehmen die Bilateralen Verträge für wichtig bis unverzichtbar. Deren Verlust würde zu einer riesigen Verunsicherung im Verhältnis zur EU führen. Der Verlagerungsdruck auf die Betriebe hin zu Regionen, wo die Rahmenbedingungen vorteilhaft und der Zugang zu Fachkräften einfach ist, würde sich massiv verstärken. Um die Voraussetzungen für eine erfolgreiche wirtschaftliche Zukunft der Schweiz zu erhalten, dürfen die Bilateralen Verträge nicht aufs Spiel gesetzt werden. Sie haben der Landwirtschaft und der Industrie wichtige Vorteile gebracht und einen substanziellen Beitrag zum heutigen Wohlstand der Schweiz geleistet. Die Abschottungsinitiative der SVP ist das falsche Rezept, um unerwünschte Nebenwirkungen der Zuwanderung zu mindern. Dazu müssen eine griffigere Wohnbau- und Infrastrukturpolitik sowie eine kohärente Asylpolitik geplant und umgesetzt werden. Der Schweizer Bauernverband und Swissmem kämpfen daher gemeinsam für den Fortbestand der Bilateralen Verträge und lehnen SVP-Abschottungsinitiative ab. (Swissmem/mc/hfu)