Ruf nach schärferen Massnahmen wird dringlicher und lauter

Ruf nach schärferen Massnahmen wird dringlicher und lauter
Martin Ackermann, Präsident der wissenschaftlichen Covid-19-Taskforce des Bundes. (Screenshot)

Bern – Die Corona-Fallzahlen zeigen in der Tendenz schweizweit nach oben. Spitaleintritte und Todesfälle liegen weiter auf hohem Niveau. Spitäler kommen an ihre Belastungsgrenzen. Und die Forderungen nach stärkeren Massnahmen werden immer dringlicher und lauter.

«Ich hätte heute gerne Optimismus versprüht vor den Feiertagen, aber einmal mehr muss ich den Mahnfinger erheben», sagte Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit im Bundesamt für Gesundheit (BAG), am Dienstag vor den Medien in Bern. Es gebe deutliche Hinweise, dass die von Bund und Kantonen gesetzten Ziele nicht erreicht würden.

Am Dienstag wurden dem BAG in der Schweiz und in Liechtenstein innerhalb von 24 Stunden 4271 neue Coronavirus-Ansteckungen gemeldet. Gleichzeitig registrierte das BAG 103 neue Todesfälle und 187 Spitaleintritte.

Die Zahl der positiv auf das Coronavirus getesteten Personen (Positivitätsrate) für die vergangenen zwei Wochen lag bei 16,3 Prozent. Im selben Zeitraum wurden pro 100’000 Einwohnerinnen und Einwohner 640,4 laborbestätigte Coronavirus-Infektionen gemeldet.

«Dritte Welle»
«Wir müssen ernsthaft damit rechnen, dass die Fallzahlen in nächster Zeit wieder deutlich zunehmen werden», stellte Mathys fest. Schweizweit liege die Reproduktionszahl (R-Zahl) aktuell bei 1,13. Das bedeute eine Verdoppelung der Fallzahlen in weniger als einem Monat. Mathys sprach von einer Trendwende im negativen Sinne», die stattgefunden habe. Es sei nur eine semantische Frage, ob man von einer Fortsetzung der aktuellen Welle oder einer dritten Welle spreche.

Mit Verzögerung werde sich der Anstieg der Fallzahlen auf die Spitaleintritte und die Todesfälle auswirken. Um den Druck auf das Gesundheitssystem zu verringern, braucht es laut Mathys nun Massnahmen, die zu einem raschen Rückgang der Fallzahlen führen.

Sehr starke, umfassende schweizweite Massnahmen, vergleichbar mit den Massnahmen im März, braucht es jetzt nach Ansicht von Martin Ackermann, Präsident der wissenschaftlichen Task Force des Bundes.

Forderung nach strengeren Massnahmen
«Das Virus kennt keine Kantonsgrenzen», sagte Ackermann vor den Medien. Besonders mit Blick auf die derzeit bessere Situation in der Westschweiz forderte er zu solidarischem Handeln auf. Nur wenn der R-Wert unter 0,8 sinke und gehalten werden könne, sei eine Besserung in Sicht.

«Der Gedanke an einen Lockdown ist nicht einfach», betonte Ackermann. Aus wissenschaftlicher Sicht wären Massnahmen wie im Frühling je früher desto besser angezeigt. Es brauche umfassende schweizweite Massnahmen. Die Taskforce gebe aber nur Empfehlungen ab, entscheiden müssten das BAG und die Politik. Der Bundesrat will am Freitag allfällige weitere Massnahmen bekanntgeben.

Mathys und Ackermann wiesen auch auf die ernste Lage in den Spitälern hin. Das Personal sei am Limit, und immer mehr dringliche Eingriffe könnten nicht mehr oder nur verzögert durchgeführt werden. Zudem gebe es vermehrt Ansteckungen in Spitälern.

Fehlende Intensivbetten in zehn Kantonen
Bereits zehn Kantone haben derzeit keine freien zertifizierten Intensivbetten, wie Andreas Stettbacher, Delegierter des Bundesrates für den Koordinierten Sanitätsdienst (KSD), vor den Medien erklärte. Es sind dies Zug, Freiburg, Solothurn, Genf, Glarus, Graubünden, Thurgau, Tessin, Waadt und Wallis.

Schweizweit stehen derzeit fast 24’000 Akut- und Intensivbetten zur Verfügung. Von den Akutbetten sind derzeit 16’677 belegt. Die Reserve bei den Akutstationen beträgt aktuell 25 Prozent, und auf den Intensivstationen liegt sie bei 22 Prozent. 839 Intensivbetten sind belegt, davon 57 Prozent von Covid-Patienten.

Reservekapazitäten von rund 20 Prozent bedeuteten eine hohe Belastung auch für das Personal. Mit der rechtzeitigen Verlegung von Intensivpatienten könne deren Behandlung aber sichergestellt werden. «Wir haben noch Reserven, müssen aber dazu Sorge tragen», so Stettbacher. Es sei wichtig die Infektionszahlen zu senken, damit es nicht zu Überlastungen des Gesundheitssystems komme.

Die Schweiz will ihren Weg bei der Zulassung eines Corona-Impfstoffes trotz der absehbaren schnellen Zulassung in den EU-Ländern nicht verlassen. Vorzeitige Impfungen seien keine Lösung, die Sicherheit der Bevölkerung habe Priorität, bestätigte die Heilmittelbehörde Swissmedic auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Seco erstellt mögliche Szenarien
Ackermann betonte, dass es auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll sei, sofort Massnahmen zu ergreifen, um die Fallzahlen zu senken.

Negativ- wie Positivszenarien zur möglichen Erholung der Wirtschaft erstellt hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Demnach könnte die Erholung ab Frühjahr 2021 einsetzen oder aber erst Ende 2022 erreicht sein, wie Eric Scheidegger, Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik im Seco, feststellte.

Das Parlament hiess am Dienstag die zusätzlichen 1,5 Milliarden Franken, die der Bundesrat für Härtefälle im Kampf gegen die Corona-Krise zur Verfügung stellen will, im Covid-19-Gesetz gut.

Nach dem Willen des Nationalrats soll die Rückzahlungsfrist für Covid-Kredite von fünf auf acht Jahre verlängert werden. Der Ständerat war zuvor dem Bundesrat gefolgt und wollte die Rückzahlungsfrist bei fünf Jahren belassen. Die Dauer der Frist ist die letzte Differenz, die zwischen den Räten bei der Beratung des Solidarbürgschaftsgesetzes noch besteht. (awp/mc/ps)

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