Bellinzona – Am Tag nach der Rücktrittsankündigung von Aussenminister Burkhalter läuft die Nachfolgersuche auf Hochtouren. Die Tessiner Kantonsregierung und Parlamentsvertreter in Bern weibeln für einen Bundesrat aus der italienischen Schweiz. Vieles ist aber noch offen.
Alle Tessinerinnen und Tessiner, die in diesem Jahr volljährig geworden sind, haben eines gemeinsam: In ihrem ganzen Leben gab es kein italienischsprachiges Mitglied in der Landesregierung. 1999 war mit Flavio Cotti (CVP) zuletzt ein Tessiner im Bundesrat vertreten.
Vor diesem Hintergrund sieht der Tessiner Regierungspräsident Manuele Bertoli (SP) nun auch eine «historische Forderung», die das Tessin stellen müsse. Es sei sehr wichtig, dass die italienische Schweiz nun endlich im Bundesrat vertreten sei, sagte Bertoli am Donnerstag auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda.
Der Tessiner Staatsrat rief in Erinnerung, dass sich das Tessin in der Vergangenheit dafür stark gemacht hatte, die Anzahl der Bundesräte auf neun zu erhöhen, um so eine dauerhafte italienischsprachige Präsenz zu garantieren. Dieses Vorhaben hatte in Bundesbern jedoch keinen Erfolg.
Wer aus seiner Sicht valable Kandidaten für die Nachfolge von Didier Burkhalter sein könnten, wollte Bertoli nicht sagen – es liege nun an der Tessiner FDP, mögliche Kandidaten zu portieren.
Pantani: Interessen des Tessins verteidigen
Auch die Präsidentin der Tessiner Parlamentsvertretung in Bern, Roberta Pantani (Lega), wittert Morgenluft für ihren Kanton. «Jetzt ist der Moment», sagte sie am Donnerstag gegenüber sda-Video.
Dieses Mal haben das Tessin bessere Chancen mit einem Kandidaten aus dem Kanton erfolgreich zu sein, als dies noch bei vorangegangenen Wahlen der Fall gewesen sei. Allerdings sei es noch zu früh, um sich auf Ignazio Cassis oder einen anderen Kandidaten festlegen zu können. Ein Tessiner Bundesrat müsste auf jeden Fall die Interessen des Kantons verteidigen – dies sei das wichtigste Kriterium, so Pantani.
Rückhalt aus dem Tessin nicht garantiert
Der Tessiner FDP-Nationalrat Ignazio Cassis war bereits Stunden nach der Burkhalter-Demission als sein Nachfolger in aller Munde. Der Tessiner Politologe Oscar Mazzoleni sieht darin auch ein Risiko: Alle potentiellen Rivalen könnten sich auf Cassis einschiessen und ihn schwächen. Der Auswahlprozess bis Oktober sei noch lang und steinig, so der Forscher an der Universität Lausanne.
Ein Kandidat der italienischen Schweiz sei immer im Nachteil, weil es nur zehn italienischsprachige Vertreter im Parlament gebe. Aufgrund dieser numerischen Unterlegenheit müsse der Tessiner Kandidat immer auch viele Vertreter aus der Romandie und der Deutschschweiz für sich gewinnen.
Ein Vorteil für Cassis könnte sein, dass er aufgrund seiner Vielsprachigkeit und langjähriger Erfahrung in Bern eher als nationaler Kandidat wahrgenommen werde, so Mazzoleni. Zudem könne er auf die Unterstützung einer starken kantonalen FDP setzen, die am meisten Vertreter in den Tessiner Grossen Rat entsendet.
Ignazio Cassis wurde bereits 2010 von der Tessiner FDP ins Rennen um die Nachfolge von Bundesrat Hans-Rudolf Merz geschickt – am Ende wurde 2011 jedoch Johann Schneider-Ammann gewählt.
Besonders wichtig für eine erfolgreiche Tessiner Kandidatur ist laut Mazzoleni jedoch die «Einigkeit» im Kanton. Bei vergangenen Kandidaturen des Tessins habe es immer wieder Grabenkämpfe gegeben. Möglich sei auch, dass ein offizieller Kandidat durch eine «wilde Kandidatur» geschwächt wird, so der Politologe.
Politisch vereint
Einer, der als Bundesratskandidat der Tessiner FDP ebenfalls antrat, ist Fulvio Pelli. 2009 konnte er sich jedoch nicht erfolgreich um die Couchepin-Nachfolge bewerben.
Heute sei die Chance für einen Tessiner Kandidaten «noch nie so aussichtsreich» gewesen, sagte Pelli am Donnerstag auf Anfrage der sda. Es gebe deutlich weniger Hindernisse als auch schon.
Auch Pelli hält eine erfolgreiche Tessiner Kandidatur nur dann für möglich, wenn sich das politische Tessin «vereint» zeige und auf Polemiken und Sticheleien verzichte. Pelli wertete es als positiv, dass viele Zeitungen der Deutschschweiz und Romandie bei der Nachfolgesuche der italienischen Schweiz einen Platz einräumen wollen. (awp/mc/ps)