63 Prozent Nein: Keine Chance für die Massentierhaltungsinitiative
Bern – Die Mehrheit hält die Tierschutzgesetzgebung in der Schweiz für ausreichend. Das Stimmvolk hat der Massentierhaltungsinitiative mit 62,9 Prozent Nein eine klare Absage erteilt. Die Ablehnung hatte sich in den letzten Umfragen abgezeichnet.
1’799’000 Stimmberechtigte lehnten die Initiative gemäss der Zählung der Nachrichtenagentur Keystone-SDA ab, 1’062’700 (37,1 Prozent) stimmten ihr zu. Einzig im Halbkanton Basel-Stadt fand das Anliegen mit 55,2 Prozent Ja eine Mehrheit. Auch in einigen grossen Städten wie Zürich (53,5 Prozent), Genf (53,3 Prozent), Lausanne (53 Prozent), Winterthur (53,4 Prozent) oder Luzern (54,1 Prozent) war dies der Fall.
Sonst aber hatte die Initiative keine Chance und scheiterte auch klar am Ständemehr. 25 Kantone lehnten sie letztlich ab, am wuchtigsten der Kanton Appenzell Innerrhoden mit 78,4 Prozent, am knappsten Genf mit 52,7 Prozent Nein-Stimmen. Gar 94,4 Prozent Nein gab es in der luzernischen Gemeinde Luthern. Den höchsten Ja-Anteil verzeichnete die Stadt Bern mit 66,1 Prozent.
Anders als bei den drei anderen Vorlagen vom Sonntag ergab sich bei der Massentierhaltungsinitiative also kein Sprach- oder Geschlechtergraben, allenfalls ein nicht sehr ausgeprägter respektive entscheidender Stadt-Land-Graben. Die Stimmbeteiligung lag bei 51,6 Prozent.
Sympathie-Bonus nicht verwertet
Den Initianten ist es offenbar nicht gelungen, das von vielen Menschen in der Schweiz grundsätzlich als sympathisch wahrgenommene Anliegen so zu verkaufen, dass sie auch bereit gewesen wären, dafür allenfalls auf der individuellen Ebene Nachteile wie etwa höhere Preise in Kauf zu nehmen.
Die Ergebnisse der ersten Abstimmungsumfragen zeigten zwar auf, dass das Anliegen grundsätzlich einige Sympathie geniesst. Der Trend verkehrte sich dann ins Gegenteil, je näher der Abstimmungstermin rückte. Die letzten Umfragen sagten eine Nein-Mehrheit von rund 60 Prozent voraus. Zudem war das Ständemehr mit den vielen kleineren ländlichen Kantonen eine hohe Hürde für das Anliegen.
Die Deutungshoheit hatte letztlich ganz klar die vom Schweizerischen Bauernverband angeführte Gegnerschaft. Sie stellte in Abrede, dass es in der Schweiz überhaupt Massentierhaltung gebe. Die Argumente der Ernährungssicherheit und des im weltweiten Vergleich bereits heute hohen Schutzstandards in der Tierhaltung überzeugten eine deutliche Mehrheit im Land.
Fabrikähnliche Mastbetriebe im Visier
Die Volksinitiative gegen Massentierhaltung wollte diese Standards in der Schweizer Landwirtschaft weiter erhöhen. Diese hätten sich im Minimum an den Bio-Suisse-Richtlinien von 2018 orientieren sollen, etwa bei der Grösse der Tiergruppen pro Stall, mehr Auslauf und kürzeren Wegen in die Schlachthöfe. Zudem sollte die Tierwürde in der Verfassung verankert werden.
Im Visier hatte das Initiativkomitee insbesondere grosse, fabrikähnliche Mastbetriebe, die rund fünf Prozent aller Landwirtschaftsbetriebe in der Schweiz ausmachen. Das vorhandene Kulturland in der Schweiz könnte viel mehr Menschen ernähren, wenn es statt für Tierfutter zum Pflanzenanbau genutzt würde, machten die Befürworter geltend.
Lanciert wurde die Initiative vom Verein Sentience. Die Trägerschaft bildeten die Fondation Franz Weber, Vier Pfoten und Greenpeace; unterstützt wurde sie unter anderem vom Schweizer Tierschutz, von der Stiftung für das Tier im Recht, Kag Freiland, der Kleinbauernvereinigung sowie von den Grünen und den Jungen Grünen.
Extrem und unnötig
Die Gegner warnten vor einem Bauernsterben und vor Souveränitätsverlust. Die Initiative sei zu extrem und unnötig. Die Schweiz habe bereits heute das strengste Tierschutzgesetz der Welt. Unter dem Strich müssten bei einem Ja rund 3300 Betriebe entweder ihre Tierbestände reduzieren oder die Fläche vergrössern.
Auch Parlament und Bundesrat hatten Massentierhaltungsinitiative zur Ablehnung empfohlen. Den vom Bundesrat ausgearbeiteten direkten Gegenvorschlag zur Initiative lehnte das Parlament ebenfalls ab. Die SP, die Grünen und die Grünliberalen setzten sich für die Initiative ein, die SVP, die FDP und die Mitte lehnten sie ab. (awp/mc/pg)