Bern – Die Auguren sind sich einig: Der Entscheid der Schweizerischen Nationalbank, den Mindestkurs aufzuheben, wird die Schweizer Wirtschaft stark belasten. Gleichwohl rechnen sie nicht mit einer Rezession. Und sie betonen auch die Vorteile.
Am konkretesten sind die Ökonomen der UBS: Sie senken die Wachstumsprognosen für 2015 auf 0,5% von bisher 1,8% und für 2016 auf 1,1% von 1,7%. Die anderen Prognoseinstitute äussern sich vager: So geht die KOF bei einem Euro-Wechselkurs von 1,10 CHF von einer Wachstumsrate von unter 1% aus; BAK Basel sieht bei einem Wechselkurs leicht oberhalb der Parität eine Wachstumseinbusse bis Ende 2016 von 1,5 bis 2 Prozentpunkten.
Exportindustrie unter Druck
Die Begründungen gleichen sich. Demnach hat die SNB hauptsächlich die Exportindustrie vor grosse Probleme gestellt. Unter dem Strich rechnen die Ökonomen der UBS beim aktuellen Wechselkurs mit einem Rückgang der Schweizer Exporte um 1,0% im laufenden Jahr. Sie befürchten knapp 5 Mrd CHF geringere Warenexporte in die Eurozone, zusätzlich seien negative Auswirkungen auf Schweizer Dienstleistungsexporte und inländische Zulieferer zu erwarten.
Die Exporteure verlören durch die «abrupte und kräftige Franken-Aufwertung» an Wettbewerbsfähigkeit, heisst es auch bei BAKBasel. Vor allem Branchen mit preissensitiven Gütern und Dienstleistungen sowie starker Ausrichtung auf den Euroraum seien betroffen, zum Beispiel der Tourismus und die Maschinenindustrie.
Deutliche Umsatzrückgänge befürchtet
Die KOF führt als Beleg für die Ängste der Exportfirmen eine Umfrage aus dem Jahr 2012 an, in der nach den Auswirkungen einer Frankenaufwertung auf 1,10 von 1,20 CHF gegenüber dem Euro gefragt wurde. So gaben die befragten Industriefirmen damals an, dass sie bei einem solchen Szenario im Schnitt mit einem Umsatzrückgang von 3,4% in den nächsten sechs Monaten und 4,2% in den nächsten 18 Monaten rechneten.
Auch die befragten Dienstleister gingen bei einem solchen Szenario von Umsatzrückgängen von 1,7% und 2,2% aus. «Aufgrund der Umfrageergebnisse ist zu erwarten, dass der Maschinenbau, die Autozulieferer, die Chemie und Pharmaindustrie, die Hotellerie sowie die Textilbranche besonders von der Aufhebung des Mindestkurses betroffen sind», heisst es in der Mitteilung der KOF.
Deutlich höhere Arbeitslosigkeit
Laut BAKBasel müssen sich jedoch auch Gewerbler und Detailhändler Sorgen machen. Es sei mit einer nochmaligen Zunahme des Einkaufstourismus zu rechnen. Viele Dienstleister, das Handwerk und das Baugewerbe seien einer «nochmals deutlich erhöhten Importkonkurrenz» ausgesetzt.
Volkswirtschaftlich rechnen die Auguren ausserdem mit einer geringeren Standortattraktivität der Schweiz und einer gebremsten Investitionstätigkeit der Unternehmen. Als weitere Folgen befürchtet BAKBasel und die UBS eine deutlich höhere durchschnittliche Arbeitslosigkeit (UBS für 2015: 3,6% statt 3,2%, BAK für 2016: 3,6-3,8% statt 3,1%).
Ruf der SNB in Gefahr?
Auch die Teuerung dürfte sich laut den Prognostikern im laufenden Jahr verringern. Die UBS-Ökonomen gehen für 2015 neu von -0,6% aus (bisher +0,3%), KOF und BAKBasel von deutlichen Rückgängen.
«Damit hat die Deflationsgefahr in der Schweiz zugenommen», schreibt BAKBasel – und relativiert diese Aussage gleich wieder: «Für sich genommen stellt das niedrigere Preisniveau infolge der sinkenden Importpreise einen Einmaleffekt dar, welcher nicht mit einer gefährlichen Deflationsspirale gleichzusetzen ist.»
Dennoch richtet sich der Fokus weiter auch auf die SNB. Deren Ruf ist laut der KOF in Gefahr. «Es droht ihr ein Verlust an Glaubwürdigkeit und Vertrauen», schreiben die KOF-Experten. «In den Augen vieler Marktteilnehmer hat die SNB ein implizites Versprechen gebrochen.»
Geringere Kosten
Trotz allem: Die Auguren betonen, dass es auch positive Auswirkungen der SNB-Entscheide gibt. So setzen die nochmals gesenkten Zinsen laut BAKBasel einen «Gegenimpuls für die Investitionstätigkeit». Ausserdem gingen die Kosten für ausländische Vorleistungen sowie für Öl und andere Rohstoffe zurück, was die Produktionskosten der Industrie senke.
Tatsächlich rechneten die Industrieunternehmen in der KOF-Umfrage aus dem Jahr 2012 für die nächsten sechs Monate mit 1,3% tieferen Kosten, sollte sich der Franken verteuern. Auch die Dienstleistungsfirmen gingen damals von einem 0,7% tieferen Wert aus. (awp/mc/pg)